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petra koller stern 1
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Zwischen Mutterliebe und
Erziehungsburnout

Jahreswechsel – Rückblick auf das Alte, Wünsche für das Neue

Das alte Jahr fand nun vor kurzem sein Ende … Zeit um zurück zublicken … zu reflektieren … Ich bin tatsächlich sehr zufrieden. Ich bin noch lange nicht angekommen, aber es geht voran. Ich gehe meinen Weg … step by step … Jahr für Jahr. Womit ich dabei seit Jahren konfrontiert werde sind Ratschläge, Tipps, Be- und Entwertungen.

Vermutlich kennt ihr das, man erzählt eine Geschichte aus seinem Leben, vielleicht ein Erlebnis, das erst kürzlich passiert ist. Der Mensch – zumindest die meisten – teilt sich gerne mit, berichtet von Erlebtem. Wir tauschen uns aus, für gewöhnlich unter – zumindest vermeintlich – Gleichgesinnten. Und dann kommt vollkommen unerwartet und jedenfalls ungefragt sofort ein gut gemeinter Rat-Schlag. Das Wort per se sagt schon, dass ein – wenn auch gut gemeinter – Rat einen oft wie ein Schlag ins Gesicht trifft. Hierzu möchte ich einen meiner Lieblingssprüche mit euch teilen: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Viel zu oft hat es den Anschein als ob beinah jeder das eben Erzählte so oder so ähnlich schon erlebt hat und garantiert weiß wie hiermit umzugehen ist. Sofort kommen Tipps und Tricks aus den Gesprächspartnern herausgesprudelt und ich muss ehrlich sagen, meist denke ich mir dann, vorallem wenn es um meinen Patty geht: „SO gut kennst du mein Kind gar nicht. Deine Situation ist ja wohl nicht im Ansatz mit meiner zu vergleichen!“ oder aber auch: „Ich benötige weder diesen 5 Phasen-Plan von dir noch die anderen So-funktionierts-garantiert-Reden. Und warum gleich so hart, belehrend und bestimmend? Ich hätte mir einfach ein bisschen Verständnis und Mitgefühl gewünscht“.

Versteht mich hier bitte nicht falsch. Ich finde es toll, wenn jemand helfen möchte und versucht mit mir gemeinsam die Sitation zu beleuchten, zu analysieren. Denn so kann man tatsächlich Ideen zur Lösbarkeit oder Aspekte, die bis dato noch nicht offensichtlich waren, entdecken. ABER der Ton macht die Musik! Viel zu oft wird vom Gegenüber sofort bewertet oder sogar entwertet. Und gerade Therapeuten, Ärzte und Psychologen gaben mir als Mutter in der Vergangenheit leider oft das Gefühl, dass sie als Fachexperten die gegenwärtige Situation jedenfalls besser einschätzen können, da sie ja die einschlägige Ausbildung haben und ich ja „nur“ die Mutter bin. Dabei wird vollkommen außer Acht gelassen, dass vorallem in den ersten Lebensjahren für gewöhnlich niemand – meist berufsbedingt nicht mal die Väter – so viel Zeit mit dem Kind verbringt wie die Mutter. Wer sollte das Kind also besser kennen als die eigene Mutter? 

Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass kein Kind wie das andere ist. Ganz egal, ob das Kind in den Regelplan passt oder vom System ein anderes „Mascherl“ (wie der Wiener sagt) bekommt. Regelplan – geiles Wort oder? Hat sich der Stadtschulrat in Österreich ausgedacht … Regel UND Plan in einem Wort – puh! Das gibt schon mal eine Idee davon wie flexibel unser Schulsystem ist und wie frei sich unsere Kinder in selbigem entfalten dürfen. Es hat sich in der Gesellschaft leider eingebürgert, dass ein Kind quasi einen Namen haben muss – und damit meine ich nicht Lisa, Marie, Horst oder Otto. Sobald ein Kind nicht in den Regelplan passt, ist es gemäß Definition nicht „normal“ – na bravo. „Normal“ … was bedeutet das überhaupt? Und wer legt die „Norm“ fest? Vorallem bezweifle ich mittlerweile, dass es erstrebenswert ist einer allgemeingültigen Norm zu entsprechen. Aber es wird von der Gesellschaft eben so gewünscht bzw. wird derzeit jedenfalls leider (noch) dieses Schubladendenken gefördert. Und da fängt der Ärger schon an. Wenn ein Kind nicht in die Norm, also in Sachen Schulystem in diesen Regelplan, passt, wird fortan vom System versucht das Kind in ein anderes Schema zu pressen und ihm quasi ein Mascherl umzuhängen bzw. eben einen Namen dafür zu finden was das Kind ist – und das mutmaße ich nicht, das habe ich leider selbst erlebt.

Rückblick auf das Alte

Patrik im Kindergartenalter
Patrik im Kindergartenalter

Als klar war, dass Patty sich nicht so wie Gleichaltrige entwickelte, begannen die Tests – medizinische und psychologische. Es musste ein Grund für die Entwicklungsverzögerung gefunden werden. Könnte er vielleicht Autist sein, oder hat er vielleicht ADHS? ADHS wäre übrigens vorallem den Lehrern am Liebsten gewesen, denn dann hätte er mit Medikamenten ruhig gestellt und somit angepasst werden können. Hat er aber nicht 🙃. Könnte er vielleicht irgendein Syndrom haben, da gibt’s ja auch einige, oder eine Krankheit? Das wäre so toll gewesen für die Anderen, denn je nachdem welches Mascherl Patty gepasst hätte, hätte es sicher zumindest ein Buch darüber gegeben wie mit diesem Syndrom/dieser Krankheit umzugehen ist. Quasi eine Art Bedienungsanleitung hätten sich viele gewünscht  – die gibt es allerdings bis heute nicht für meinen Sohn. Bei Patty wurde so vieles getestet, aber kein Test hat jemals einen Namen dafür hervorgebracht was er ist. Also zum besseren Verständnis: Er ist weder Autist, noch hat er Trisomie oder Epilepsie. Er hat kein ADHS, auch nicht ADS. Er hat kein bekanntes Syndrom (wie z.B. Asperg oder KISS) und der Test im Kleinkindalter wegen Verdachts auf Mukoviszidose war ebenfalls negativ – gsd. Des Weiteren konnte kein Gendefekt nachgewiesen werden, der zu einem bekannten Krankheitsbild oder Syndrom passt. 

Im Zuge der unzähligen Tests haben wir eine besonders dubiose Situation erlebt. Für die bevorstehende Einschulung Patriks war ein aktueller Befund seines Entwicklungsstands vorzulegen. Die Psychologin, die den Test damals durchführte, gab mir bei der Nachbesprechung zu verstehen, dass mein Kind einen IQ vergleichbar mit einer leeren Scheibe Toastbrot hätte und ziemlich sicher niemals lesen, schreiben oder rechnen können würde. Ich sollte mich darauf einstellen, dass er niemals ein wertvoller, produktiver Teil der Gesellschaft sein würde. Aber ich bräuchte dennoch keine Angst vor der Zukunft zu haben, denn für „sowas“ gab es ohnehin Einrichtungen, wo ich ihn bei Zeiten unterbringen konnte. Diese extrem empathische Person wollte mir bloß nicht unnötig Hoffnung machen und mich pflichtbewusst darauf vorbereiten, dass ich nur ja nicht zu viel von meinem Sproß erwarten würde, das gäbe bloß Enttäuschungen. DAS hat sie gut gemacht. (Sarkusmus off)

Und der Blick hierauf mit meinem jetzigen Wissen

Heute, nach all den Jahren und Erfahrungen, sehe ich die Sache gsd anders. Aber damals war ich extrem verunsichert und immens traurig. Natürlich hatte ich Zweifel, ob diese angebliche Fachfrau Recht hatte – woher wollte sie das so genau wissen? Wie konnte sie so vieles für meinen Sohn schon damals gänzlich ausschließen? Er war damals ja erst sechs Jahre alt und er hatte noch sein ganzes Leben vor sich! Er hatte noch so viel Zeit all das zu Lernen, was sie bereits zu diesem Zeitpunkt für immer ausschloß. Allerdings blieb in mir die Angst, dass sie schlussendlich doch Recht behalten würde, viel zu lange aufrecht.

Sie behielt übrigens nicht Recht. Patty hat lesen und schreiben gelernt. Er kann sogar – zumindest im Zahlenraum 20 – rechnen. Braucht er aber kaum, da mittlerweile jeder Mensch ein Handy hat und diese wundervollen Dinger einen Rechner haben. Den kann er bedienen und das reicht völlig 😉 Und abgesehen von all dem schulischen Kram, von dem man das Meiste später im Leben ohnehin nicht benötigt, hat er eine Menge drauf! Er passt immer noch nicht in den „Regelplan“ und wird es vielleicht niemals tun. Aber wißt ihr was? FUCK IT! Er ist ein sehr liebevoller, empathischer Junge. Er ist hilfsbereit und hat in seiner jetzigen Schule Freunde gefunden. Er hat so seine Schwierigkeiten mit Veränderung, aber er hat keine körperlichen Einschränkungen und, auch wenn er zugegeben kein Motorikgenie ist, kommt er gut zurecht. Tatsächlich hat er Fähigkeiten, die viele Gleichaltrige leider nicht haben. Er kann z.B. sehr gut auf seine seelische Gesundheit achten. Er kennt seine Grenzen und überschreitet sie nicht. ER würde niemals in ein Burnout schlittern oder sich bei waghalsigen Mutproben verletzen. Er hat eine Menge Fantasie und ein gutes Gespür dafür was Recht und was Unrecht ist. Außerdem hat er eine spezielle Antenne dafür welche Menschen ihn uneingeschränkt so akzeptieren wie er ist und geht den anderen Menschen einfach aus dem Weg. Wenn ihn sein Umfeld so läßt wie er ist, dann ist er sehr friedlich und sanft. 

Aber soll ich euch was sagen, es hat leider viel zu lange gedauert, bis ich DAS verstanden habe. Wenn es überhaupt irgendeinen Namen dafür braucht was/wie mein Kleiner ist, dann kann das nur PatMan sein! Denn mein Patty ist ein wahrer Superheld! Seine speziellen Superkräfte haben es ihn schaffen lassen bis heute, entgegen allen noch so widrigen Umständen, und bei allem was er Negatives erleben musste und womit ihn Menschen konfrontiert haben, ständig weiter zu machen und sich selbst treu zu bleiben. Er hat sich niemals verbogen oder versucht sich entgegen seinem wirklichen Selbst auf eine ungesunde Art anzupassen.

Und in Wahrheit gibt es für kein Kind eine akzeptable Bedienungsanleitung. Jedes Kind ist einzigartig. J E D E S. Selbst Kinder, die vom System das selbe Mascherl bekommen, sind vollkommen unterschiedlich und sollten daher auch nicht alle über einen Kamm geschoren werden. Im Gegenteil wir sollten die Individualität feiern und mehr Vielfältigkeit zulassen. Gerade unterschiedlichste Charaktäre mit ihren besonderen Stärken machen eine Gruppe aus. Je unterschiedlicher die einzelnen Mitglieder einer Gruppe sind, desto besser kann man sich gegenseitig ergänzen und gemeinsam das Beste rausholen. Das Einzige was jedes Kind, jeder Mensch, gemeinsam hat ist sein Bedürfnis nach Liebe und Akzeptanz. Jede*r verdient Respekt und die Möglichkeit zu sein wie er*sie nun mal ist. Jede*r sollte die Möglichkeit haben seinen Interessen und Begabungen zu folgen, solange er niemandem damit schadet. Es sollte jedem Kind die Unterstützung zu Teil werden, die es benötigt, um seine Stärken leben zu können und jede*r sollte soviel Sicherheit erfahren, das er*sie genug Mut hat sich seine Schwächen einzugestehen und sich dabei helfen zu lassen. Doch meiner Erfahrung nach gibt es sowohl im Schulsystem als auch im Berufsleben zu wenig Zeit hierfür und leider auch noch nicht mehrheitlich den Anspruch, dass jede*r diese Möglichkeit haben sollten. 

Mein Wunsch für das Neue

Daher wünsche ich mir für das nächste und die kommenden Jahre allgemein mehr Milde, Verständnis, Toleranz und Empathie. Wann immer euch eine Be- oder Entwertung in den Sinn kommt, bitte denkt an die Worte von Depeche Mode: “try walking in my shoes”, singen sie so treffend “You’ll stumble in my footsteps, keep the same appointments I kept” …  Vieles sieht aus der Distanz ganz anders, vielleicht easy aus. Aber bedenkt bitte, dass die Dinge nicht immer so sind wie sie scheinen. Hinter jeder noch so taffen Person stehen einen Menge Geschichten mit unzähligen Gefühlen und jede*r trägt einen unsichtbaren Rucksack voll von unterschiedlichsten Enttäuschungen, Verletzungen, Ängsten und vielleicht Wut mit sich. Vielen ist das nicht mal bewusst. Und dennoch sehnt sich jeder*r im Grunde nach Toleranz, Verständnis und Mitgefühl. Wenn ihr also helfen wollt, die Welt ein kleines Stück lebenswerter zu machen, so versucht den Menschen in eurer Umgebung wahrlich zuzuhören und Mitgefühl zu zeigen. Ich denke wirklich, dass es so einfach ist. Egal was derzeit in der Welt alles schief läuft, das Einzige wovon wir tatsächlich mehr brauchen ist LIEBE, dann ändert sich ohnehin alles von selbst in die richtige Richtung.

In diesem Sinne wünsche ich euch allen ein wundervolles Neues Jahr voller Liebe, Empathie und Vielfältigkeit 🍀❤️🌟🌈