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petra koller stern 1
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Zwischen Mutterliebe und
Erziehungsburnout

Plötzlich keine Schule mehr

Mitten im Ausnahmezustand durch Corona wurden zusätzliche, genehmigungspflichtige Schuljahre für Jugendliche mit Behinderung plötzlich gestrichen! Plötzlich keine Schule mehr – das
stand völlig unerwartet im Raum!

Wie im Blog Beitrag „Berufsvorbereitungslehrgang“ berichtet, wurde uns versprochen, dass Patrik drei Jahre im BVL bleiben könne und in diesen 3 Jahren insgesamt 6 Praktika und 3 Trainingswochen absolvieren würde. Dank Corona hat er in den ersten beiden BVL-Jahren leider lediglich ein Praktikum im schuleigenen Cateringbetrieb erfolgreich abschliessen können. Eine Trainingswoche konnte aufgrund von Corona noch gar nicht stattfinden.

Bereits im ersten Coronajahr hatte die Bildungsdirektion begonnen das 11. Schuljahr für Jugendliche mit dem ASO-Plan (allgemeiner Sonderschullehrplan) zu streichen. Schon damals war die Empörung groß, doch niemand hätte es für möglich gehalten, dass eine derartige Kürzung auch die Jugendlichen im schwerstbehinderten Lehrplan treffen könnte.

Dann der Schock!

Nach eineinhalb Jahren im BVL hatte mir die Mentorin gesagt, dass sie noch keine Genehmigung für das 11. Schuljahr von Patrik erhalten hatte und das es im „worst case“ sein könne, dass er ab Herbst nicht mehr in die Schule gehen dürfe. Sollte die erforderliche Genehmigung nicht doch noch einlangen und wir keine Stelle in einer Werkstätte finden, so hätte ich Patrik arbeitslos melden müssen.

Ich war außer mir! Es folgten Gespräche mit der Mentorin, mit Pattys Jugendcoachin und mit dem Schuldirektor. Alle waren sich einig, dass mein PATMan noch nicht die Reife hatte und auch noch zu wenig Kompetenzen erlernt hatte, um in den Arbeitsalltag zu wechseln, auch wenn es „nur“ bei Jugend am Werk gewesen wäre. Des Weiteren waren die Plätze in den vorhandenen Werkstätten begrenzt und die Möglichkeit für Schnuppertage oder Schnupperwochen waren aufgrund von Corona sehr eingeschränkt.

Wir versuchten also mit Hilfe der Mentorin und der Coachin freie Stellen zu identifizieren, die für Patrik in Frage kommen könnten. Ein Ding der Unmöglichkeit! Entweder die Stellen waren viel zu weit weg oder das Aufgabengebiet interessierte meinen PATMAn so gar nicht oder es entsprach nicht seinen Kompetenzen. So verbrachten wir Stunden mit Recherche, Schnuppertagen und dem Mailing an die Bildungsdirektion.

Rechtlicher Hintergrund

Im Zuge meiner Recherchen habe ich einiges gelernt. Zuerst: Es handelt sich nicht um eine Streichung, da die Herren der Bildungsdirekton sich darauf berufen, dass es niemals ein Recht für behinderte Jugendliche auf ein 11. Schuljahr gab. Bumm. Das saß. Im Gegenteil es war immer „good will“ und wurde fortan einfach nicht mehr genehmigt. Leider macht das für die betroffenen Jugendlichen allerdings keinen Unterschied. Und an dieser Stelle: Vielen herzlichen Dank hierfür an die Bildungsdirektion!

Des Weiteren ist ein Negativabschluss eines Schuljahres – das sogenannte „Durchfallen“ für I-Kinder nicht möglich. Somit können die 9 Schuljahre auch durch das Wiederholen von Schulstufen nicht verlängert werden. Bei Kindern mit Behinderung gibt es keinen geforderten Lernerfolg im herkömmlichen Sinn, es wird sehr individuell beurteilt und notfalls einfach abgestuft. Wenn ein Kind mangels Erfolg aus dem Regelplan fällt, wird es vorerst nach dem ASO-Plan unterrichtet. Sollten die Lehrer*innen feststellen, dass auch die Lernziele des ASO-Plans nicht erreicht werden können, so wird der*die Schüler*in in den SS-Plan (schwerstbehinderten Lehrplan) abgestuft.

Angebliche Ausbildungspflicht

Zusätzlich zur bestehenden Schulpflicht gibt es in Österreich seit 2017 die „Ausbildungspflicht bis 18“, aufgrund derer sowohl Ausbilder als auch Auszubildende Rechte und Pflichten haben. Sinn dieser Ausbildungspflicht ist, dass Jugendliche bis zum Erreichen des 18. Lebensjahres einen positiven Abschluss einer weiterführenden Bildung oder Ausbildung erzielen, um ihre Chancen am Arbeitsmarkt zu erhöhen. Wird der Ausbildungspflicht nicht nachgekommen, drohen Verwaltungsstrafen.

Für Kinder, die nicht in den Regelplan passen, gilt das Recht auf Ausbildung leider nicht, denn auch dieses Gesetz kann wieder ressourcenschonend gebogen werden. Wenn das 9. Schuljahr absolviert ist, erhält der*die Schüler*in ein Abschlusszeugnis und die Bildungspflicht ist mit diesem Zeugnis formal erfüllt. Ob die Jugendlichen mit diesem Abschlusszeugnis irgendwo eine Lehrstelle oder Fixanstellung erhalten, interessiert niemanden. Tatsächlich könnten die Jugendlichen jedenfalls mit weiteren Schuljahren weitere Fertigkeiten erlernen und somit ihre Chancen erhöhen.

Covid-19-Schulverordnung

Aufgrund von Covid-19 wurde eine eigene Covid-19-Schulverordnung erlassen. In dieser ist verankert, dass ein Schuljahr wiederholt werden darf, wenn der Lehrauftrag nicht erfüllt werden konnte. Da ich mit der Ausbildungspflicht als Argument für Patriks 11. Schuljahr gescheitert war, hatte ich versucht mich hierauf zu berufen. Immerhin war der Lehrauftrag meiner Meinung nach nicht erfüllt, da bis dato weder eine Trainingswoche noch ein externes Praktikum stattgefunden hatten. Mündlich wurde mir hierzu von der Bildungsdirektion erklärt, dass auch die Covid-19-Schulverordnung für Kinder und Jugendliche außerhalb des Regelplans nicht gilt, da diese Schüler*innen ja ohnehin niemals Maturaniveau erreichen würden. … Vielen Dank auch hierfür! 🤬

Ich fasse zusammen: Die üblichen Gesetze und Verordnungen gelten größtenteils nicht für Menschen mit Behinderung und das versteht sich dann als Inklusion oder Integration – mir fehlen die Worte!

Ignoranz und Desinteresse

Das Eine war für mich die Diskriminierung von Jugendlichen mit Behinderung indem sie von gesetzlich festgehaltenen Rechten größtenteils ausgenommen sind und der ewige Verweis auf Ressourcen. Das Andere war in dieser Situation allerdings die Art und Weise wie wir behandelt wurden. Es hatte wirklich den Anschein, als ob niemand sich mit uns befassen wollte. Wir und unser Anliegen waren einfach nur ein Störfaktor und unangenehm.

Ich hatte ab März Mails mit der Bitte um Stellungnahme an die Bildungsdirektion gesendet. Ich hatte persönliche Gespräche angeboten und Befunde und Sachverhalte mitgeschickt. Von der Bildungsdirektion erhielt ich, wenn überhaupt, nichtssagende Textbausteine.

So kam z.B. gerne als Antwort auf mein Anliegen der allseitsbeliebte Text „Wir haben Ihre E-Mail dankend erhalten und an die zuständige Abteilung weitergeleitet. Diese wird sich diesbezüglich mit Ihnen in Verbindung setzen.“ In Verbindung gesetzt hat sich von der Bildungsdirektion aktiv allerdings bis heute niemals jemand mit mir oder meinem Ex-Mann. Stattdessen hatten wir zunehmend das Gefühl, dass hier auf Zeit gespielt wurde.

Eine Frechheit!

Da unsere Mails, egal an wen wir sie in der Bildungsdirektion gesendet hatten, mehr oder weniger unbeantwortet blieben, versuchte ich mein Glück telefonisch. Es war beinah unmöglich jemanden in der Bildungsdirekton telefonisch zu erreichen – schon gar nicht den Bildungsdirektor persönlich. Immer hörte ich, er sei in einer Besprechung, auf einer Tagung oder in einer Konferenz. Ein Rückruf war unmöglich. Selbst wenn mir ein Rückruf versprochen wurde, rief mich die Sekretärin der Sekretärin zurück, um mir zu sagen, dass die zu dem Fall nichts sagen könne und ich mich gedulden musste.

Ablehnung Verlängerung Schulbesuch
Ablehnung Verlängerung Schulbesuch

In dieser Zeit begann ich die folgenden beiden Sätze zu hassen: „Sie müssen sich gedulden.“ und „Das müssen Sie verstehen.“ Ich hätte schreien können! Warum sollt ich verstehen müssen, dass mein Kind ungerecht behandelt wurde und erst Recht sah ich nicht ein, dass ich mich ständig gedulden sollte! Die Zeit lief uns davon! Denn nach 4 Monaten, die ich mit ständigem Urgieren, Telefonieren, Mailschreiben und Reklamieren verbracht hatte, stand der Schulschluss von Patriks 10. Schuljahr kurz bevor. Und wir hatten noch immer keine Information von der Bildungsdirekton zu Pattys nächstem Schuljahr! Alles was wir hatten war eine schriftliche Ablehnung unseres Ansuchens auf die Bewilligung des 11. Schuljahres und unzählige Nachrichten, in denen wir um Geduld und Verständnis gebeten wurden 🤬🤬🤬

Nicht mit mir!

Meine Geduld und mein Verständnis waren aufgebraucht, ich war am Ende. Wie gesagt, empfinde ich es immer noch als Frechheit, dass sich bis heute niemand jemals die Zeit genommen hat persönlich mit uns zu sprechen. Die Amtsschimmelreiterei hat mit sinnlosen und inhaltlosen Textbausteinen auf Zeit gespielt. Das Einzige was hiermit erreicht wurde, dass einige Eltern aufgegeben haben. Sie haben ihre Kinder bei den nächstbesten offenen Stellen untergebracht, unerheblich, ob die Jugendlichen ein Interesse an den zukünftigen Aufgaben hatten und was das für ihre Zukunft bedeutet.

Nach all dem was wir allerdings in Patriks Schullaufbahn ua. mit der Bildungsdirektion (bzw. vormals dem Stadtschulrat) erleben mussten, war ich festentschlossen mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln bis zum bitteren Ende zu kämpfen! Diesmal würde ich mich nicht wieder klein reden lassen. Diesmal gab es keine falsche Höflichkeit oder Angepasstheit. Diesmal war ich zum Äußersten bereit! Ich drohte den lieben – bis heute gesichtslosen und mir unbekannten – Sachbearbeiterninnen der Bildungsdirektion damit mich an die Medien zu wenden und rief in der letzten Schulwoche jeden Tag in der Bildungsdirektion an.

Plötzlich keine Schule mehr

Am letzten Schultag von Patriks 10. Schuljahr erhielt er sein Zeugnis und weder seine Mentorin noch die anderen Lehrer*innen oder der Schuldirektor wussten zu diesem Zeitpunkt, ob Patty im Herbst wieder zum Unterricht kommen durfte oder arbeiten gehen musste. Es war eine fürchterliche Situation! Mein PATMan und ich verabschiedeten sich somit vom Lehrer*innen-Team in die Ferien, ohne zu wissen, ob wir uns wieder sehen würden.

Doch dann, am Ende der ersten Ferienwoche, kam endlich die entlastende Information aus der Schuldirektion: Das 11. Schuljahr wurde für 6 Jugendliche an Patriks Schule ausnahmsweise bewilligt – auch für meinen PATMan. Wir waren überglücklich!

Die Bildungsdirekton hat uns darüber bis heute nicht informiert. Patrik hat das 11. Schuljahr dann mit September begonnen und mittlerweile bereits zwei erfolgreiche Praktika absolviert. In Kürze steht ihm die Traininswoche bevor und wir sind überglücklich, dass er diese Erfahrung doch noch machen darf.