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petra koller stern 1
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Zwischen Mutterliebe und
Erziehungsburnout

Endlich tatsächlich: Trainingswoche

Nach mehreren Storni der ursprünglich geplanten Trainingswochen, hat nun im 3. Schuljahr des Berufsvorbereitungslehrgangs, endlich tatsächlich eine stattgefunden. Doch der Weg bis dahin war kein leichter.

Irgendetwas ist eben immer

Ihr erinnert euch: Ursprünglich war für jedes der, gesamt drei, Schuljahre im Berufsvorbereitungslehrgang eine Trainingswoche geplant. Aufgrund von Covid-19 und den damit verbundenen Maßnahmen waren allerdings alle Schulveranstaltungen ab März 2020 abgesagt worden. In den ersten beiden Schuljahren gab es daher keine Trainingswoche für meinen PATMan.

Nun im hart erkämpften, letzten Schuljahr war die Trainingswoche für Mitte Mai geplant gewesen, musste allerdings erneut abgesagt werden. Die Trainingwoche stand also ehrlich gesagt unter keinem besonders guten Stern. Als Patrik dann auch noch eine Woche vor dem geplanten Abreisetag zur Trainingswoche wieder krank wurde, dachte ich kurz: „Es soll vielleicht einfach nicht sein“.

Jeder Mensch, der auch nur ein bisschen schicksalsgläubig ist, wird mich verstehen können. Drei Jahre lang wurde die Durchführung der Trainingswoche ständig von unbeeinflussbaren Mächten verhindert. Man könnte es aber auch als Prüfung sehen, wie sehr ich tatsächlich davon überzeugt war, dass mein PATMan diese Erfahrung machen sollte. Und da war klar: Ich war fest davon überzeugt, dass Patrik von der Trainingswoche immens profitieren würde und wollte sie ihm daher ermöglichen.

Die Ruhe vor dem Sturm

Am letzten Wochenende vor der Abreise war ich schon recht nervös. Patrik war die ganze Woche nicht in der Schule gewesen, da er immer wieder anfieberte. Die Trainingswoche war daher kein Thema gewesen. Er verbrachte eineinhalb Tage des Pfingstwochenendes bei seinem Vater und war durch das Spielen mit seinem Bruder von Schulthemen abgelenkt. Dort hatte er keinerlei Erkältungssymptome und war auch gut gelaunt.

Als er dann am Pfingstmontag mittags nachhause kam, war er anfangs noch gelöst. Doch schon nach ein paar Stunden begann er mich zu fragen, ob er morgen zuhause bleiben könne. Er meinte er fühle sich krank und begann wieder vereinzelt zu husten und zu niesen. Seiner Meinung nach konnte er unmöglich zur Schule gehen.

Ich versuchte möglichst wenig darauf einzugehen und war froh, als er abends im Bett lag. Ich hoffte inständig, dass er morgen früh nicht ans Zuhausebleiben denken würde. Doch in meinem Kopf machte sich die Erinnerung an den Terror vor dem Praktikum bei Jugend am Werk breit und vermieste mir die Nacht.

Sklave seiner Ängste

Seit Patrik pubiertiert, hat er einen sehr starken Kopf und wenn er Panik bekommt, kann er sehr stur und auch aggressiv werden. Natürlich ist mir klar, dass er das nicht mit Absicht macht und eigentlich nur ein Sklave seiner Ängste ist. Dennoch bin leider meistens ich es, die das zu spüren bekommt oder sogar ausbaden muss. Und so war es auch diesmal.

Der Weg bis zur tatsächlichen Trainingswoche war subjektiv also noch ein langer und startete für mich um 03:14h morgens. Patrik war aufgewacht und hatte sich sein Handy ins Bett geholt, um YouTube-Videos zu schauen. Ich nahm ihm das Handy wieder weg und erklärte ihm, dass er noch schlafen solle, da es mitten in der Nacht war. Er schlief gsd wieder ein. Ich nicht. In meinem Körper spielte alles verrückt … 1000 Gedanken, flauer Magen und beginnende Kopfschmerzen.

Der Morgen startete dementsprechend holprig. Ich war extrem übermüdet, zittrig und aufgewühlt. In mir die Angst was alles passieren würde, bis Patrik endlich im Zug sitzen würde. Patty kam nur langsam in die Gänge, bewegte sich provokant langsam und hauchte mir theatralisch entgegen: „Mir geht es schleeecht!“. Ich wusste worauf das hinauslaufen würde. Es war seit etwa einem halben Jahr immer das selbe „Spiel“ und ich kannte es nur zu gut.

Immer das selbe Spiel

Doch ich war fest entschlossen diesmal nicht nachzugeben. Ich war überzeugt davon, dass er nicht krank war. Also nicht richtig – er hatte Angst. Und ja – auch eine Angststörung ist selbstverständlich eine Krankheit. Doch ich bin der Meinung ich helfe meinem PATMan nicht, wenn ich ihn in der Opferrolle verharren lasse und zulasse das die Angst sein ganzes Leben bestimmt. Ich sehe es als meine Aufgabe als Mutter, ihm sanft zu helfen Wege aus der Angst zu finden, sodass sie Stück für Stück kleiner wird, um sie schlussendlich irgendwann zu besiegen.

Ich überzeugte ihn davon, dass auch dieser Tag – wie jeder andere – damit beginnen musste sich anzuziehen und zu frühstücken. Routinen sind wichtig. Sie geben Sicherheit. Er fragte immer wieder was danach wäre, aber ich ließ mich nicht auf derartige Gespräche ein und holte ihn immer wieder ins HIER und JETZT zurück. Ich wiederholte sanft, dass wir einen Schritt nach dem anderen machen würden und jetzt mal mit dem Frühstück starten würden.

Nach dem Frühstück sagte ich ihm, dass er sich von Luna verabschieden solle, da wir zum Bahnhof fahren müssten. Von dort aus würde er mit seinen Schulkolleg*innen und Lehrer*innen auf Trainingswoche fahren. Er sah mich erschrocken an und lief hinauf in den 1. Stock unseres Hauses. Ich dachte eigentlich er würde sich wieder in der Toilette einsperren, da er die ganz gerne als Fluchtort wählte. Sein Ziel war klar: Er wollte mit aller Kraft verhindern, dass wir das Haus verlassen. Mir war klar, dass Druck nicht helfen würde, daher ließ ich ihn und räumte erstmal das Auto ein.

Show must go on

Als ich nach etwa 10 Minuten hoch kam, war er in seinem Zimmer und spielte Lego. Als ich ihn da so sitzen sah, im Körper eines beinah Achtzehnjährigen, aber mit dem Gesichtsausdruck eines Sechsjährigen tat er mir furchtbar leid. Ich spürte seine Anspannung, Unsicherheit und Angst. Wie ein kleines Kind hatte er die Hoffnung sich vor der Situation verstecken zu können. „Wenn ich mich nur lang genug ruhig verhalte, wird es vorbeigehen“, dachte er vermutlich. Aber diesmal war es einfach viel zu wichtig, ich konnte ihm nicht nachgeben. Es war die allerletzte Chance auf eine Trainingswoche! Schon in vier Wochen war seine Schulzeit für immer vorbei.

Eigentlich kann ich mich gar nicht mehr genau erinnern, wie ich es geschafft habe, ihn ins Auto zu bringen. Während der Autofahrt, welche aufgrund vom morgentlichem Stau sehr lange war, versuchte ich ihn daran zu erinnern was er schon alles gelernt und geschafft hatte. Ich redete sehr sanft und ruhig mit ihm, auch wenn es mich immens viel Kraft kostete, denn ich spürte seinen Widerstand und seine Panik vor dem Unbekannten und ich wusste je näher sein Abschied von mir kommen würde, desto intensiver würde sein Widerstand werden. Aber egal wie es MIR damit ging, ich wusste: show must go on! Ich atmete immer wieder sehr tief und sagte mir innerlich dieses Mantra vor.

Emotionaler Abschied

Am Bahnhof angekommen, wollte er nicht aus dem Auto aussteigen und krallte sich fest. Die Lage spitzte sich zu. Er meinte wir könnten seine Mentorin anrufen, um abzusagen. Aber ich beharrte darauf, dass wir mit ihr persönlich sprechen müssten und machte mich auf den Weg zum Treffpunkt. Er stapfte wütend neben mir her.

Am Treffpunkt angekommen, wurde er immer unruhiger, je mehr Eltern und Jugendliche eintrafen. Er versuchte immer wieder sich unbemerkt zu entfernen oder schrie plötzlich: „Ich fahre nicht mit! Ich bin krank!“ Seine Mentorin und ich redeten abwechselnd beruhigend und motivierend auf ihn ein, während wir uns langsam Richtung Bahnsteig bewegten. Kurz vor dem Bahnsteig verabschiedete ich mich dann von meinem PATMan, wünschte ihm viel Glück und umarmte ihn nochmal voller Liebe. Er sah mich an, als hätte ich ihn zum Schaffot gebracht.

Obwohl ich sicher war, dass ich das Richtige getan hatte, brach es mir das Herz und ich konnte nur solange die Fassung behalten, bis ich außer Patriks Sichtweite war. Dann brach ich zusammen, begann bitterlich zu weinen. All die Anspannung fiel von mir ab und ich spürte schlagartig eine immense Erschöpfung und Traurigkeit. Ab nun konnte ich ihm nicht mehr helfen. Ich wusste wie schwierig die folgenden Tage für ihn werden würden und wie groß seine Angst davor war. Aber ich wusste auch, wie wichtig diese Erfahrung für ihn ist und dass er gestärkt davon zurück kommen würde.

Endlich tatsächlich: Trainingswoche

PATMan kocht sein Abendessen
PATMan kocht sein Abendessen

Patriks Mentorin hielt mich während des Aufenthalts auf dem Laufenden. Am ersten Tag hat er zwar gar nichts gegessen, aber schon am nächsten Tag hat er brav gefrühstückt und wir haben am Vormittag telefoniert. Abends hat er selbst sein Essen gekocht und sogar aufgegessen. Es gab Nudeln mit Gemüse für ihn. Die anderen Schüler*innen haben gegrillt, aber das mag mein PATMan nicht so gerne.

Als ich Patrik am Freitag wieder vom Bahnhof abgeholt habe, war er sichtlich erleichtert aber auch ein wenig stolz. Seine Mentorin versicherte mir, dass er sich wacker geschlagen hat und meinte er kann sehr, sehr stolz auf sich sein.

Er berichtete mir die ganze Heimfahrt im Auto, was er alles erlebt und gemeistert hatte. Die Kids waren einkaufen, im Wald spazieren und haben Spieße für das gemeinsame Grillen geschnitzt. Er erzählte, dass er Luna vermisst hatte und dass auch andere Jugendliche Probleme damit hatten von zuhause weg zu sein. Er war sichtlich verändert. Für seine Begriffe war er förmlich im Redefluss! Über seinen Schatten zu springen, raus aus seiner Komfortzone und, trotz der Angst vor dem Unbekannten, diese vier Tage mit Gleichaltrigen zu erleben, hat ihn sichtlich reifen lassen und stärker gemacht.

Ich bin so froh, dass er diese Erfahrung machen konnte und die Trainingswoche gemeistert hat. Und ich bin unendlich stolz auf meinen PATMan 🤩