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petra koller stern 1
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Zwischen Mutterliebe und
Erziehungsburnout

Das aller letzte Schulzeugnis

Das aller letzte Schulzeugnis im Leben meines PATMANs – wieder eine Etappe abgeschlossen. Patrik ist erleichtert. Einfach, weil er jetzt mal Ruhe hat.

Er kann jetzt erstmal seine Ferien genießen: 7 Wochen chillen. Keine großen Pläne, keine großen Erwartungen, keine großen Aufgaben. Das Einzige, das ich von ihm verlange ist, dass unsere Grundstruktur aufrecht bleibt. Gemeint ist mit „Grundstruktur“ mein Credo des Zusammenlebens „Leben und leben lassen“- also ein respektvoller Umgang mit einander – und das Einhalten unserer Tagesstruktur. Die Einhaltung des Tagesablaufs nervt ihn zwar ungemein (und ehrlich gesagt auch mich 😉 ), aber ich weiß dass es wichtig ist für ihn! Denn verliert er diese Struktur und die üblichen Abläufe, kostet es ungemein viel Kraft, sie wieder aufzubauen und das nervt uns beide dann noch viel mehr.

Die letzte Schulwoche

Die letzte Schulwoche war ein Krampf. Wiedermal. Ich hätte ihm so sehr gewünscht, dass er die letzte Schulwoche seines Lebens genießen kann, doch es ist nicht geglückt. Er war krank. Schon von der Trainingswoche ist er krank zurück gekommen. Er hatte sich dort erkältet. Da sein Immunsystem von dem ständigen Maskentragen in den letzten beiden Jahren schwer angeknackst ist, hat er die Erkältung zwei Wochen lang nicht abschütteln können. Kaum dass ein Tag ein bisschen besser war, kam am nächsten Tag der Rückfall. Zermürbend.

Am Wochenende vor der letzten Schulwoche, hatte ich das Gefühl, dass er es endlich geschafft hatte und fit war für die Schule. Montag Morgen dann die Ernüchterung: Er hatte starken Durchfall. Und das einen Tag vor seinem aller letzten Sommerschulfest. Ich war verzweifelt. Ich hatte mir so sehr für ihn gewünscht, dass er am Sommerfest teilnehmen kann. Er hätte eine wichtige Aufgabe gehabt: er wäre beim Stand für die Tombola gestanden. Seine Mentorin hatte einiges für ihre Mentees vorbereitet. Aber er konnte nicht dabei sein .

Auch Patriks großer Bruder und deren Freundin wären zum Fest gekommen und ich denke es wäre ein schöner und wichtiger Abschluss für die drei Jahre im Berufsvorbereitungslehrgang gewesen. Aber tatsächlich war die ganze Woche wieder geprägt von auf und abs. Immer wenn ich dachte: „Jetzt ist es besser, morgen wird er gehen können!“, kam wieder ein Rückfall. Durchfall, Erkältungs- und Erschöpfungssymptome wechselten sich ab, an Schule war nicht zu denken.

Das aller letzte Schulzeugnis

PATMAN_Zeugnis
PATMANs allerletztes Schulzeugnis

Dann kam der Zeugnistag. Ich spürte seine Nervosität und er war noch immer nicht fit, aber da es das aller letzte Schulzeugnis seines Lebens war, sollte er sich von seiner Mentorin und seinen Kolleg*innen verabschieden. Ein klarer Abschluss dieses Lebensabschnitts war wichtig, um den neuen beginnen zu können. Deutlich angespannt und nervös machten wir uns auf den Weg. Vor der Schule angekommen, griff er noch im Auto sofort zur FFP2-Maske. Niemand sonst trug eine Maske. Aber Patrik hat unglaubliche Angst sich mit Corona anzustecken. Er bat mich, ihn bis zum Klassenzimmer zu begleiten. Dort angekommen, sagte ich ihm, dass ich gleich vor der Schule warten würde und er mich nur anrufen oder anschreiben müsste, und ich würde ihn sofort von der Klasse abholen.

Nach etwa einer Stunde kam er dann wieder aus der Schule, in Begleitung seiner Mentorin und mit seinem Zeugnis. Es war nicht das beste Zeugnis seiner BVL-Zeit, aber dafür dass er so oft krank war, ist es eine tolle Leistung. Während der Stunde im Klassenzimmer saß er stocksteif auf seinem Stuhl und sprach kein Wort. Auch vor der Schule verabschiedete er sich dann sehr wortkarg von seiner Mentorin. Abschiede mag er nicht besonders. Als wir dann endlich wieder zuhause waren, war er sichtlich erleichtert, dass alles wieder vorbei war. Er war wie ausgewechselt! Er war ausgelassen und fröhlich, spielte und tanzte.

Gefühlstornado

PATMAN_Schulschluss

Erstmal waren wir also gelöst und erleichtert. Patrik zumindest. Er ist wie gesagt einfach froh, dass die Schule nun ein Ende hat und er fürs Erste Ruhe hat. Er weiß wohl, dass nach den 7 Wochen Sommerferien seine Ausbildung in der Einsteigergruppe von Jugend am Werk beginnt, aber soweit denkt er nicht voraus. Jetzt genießt er mal seine Ferien und die Freiheit nichts leisten zu müssen.

Ich hatte mich so sehr darüber gefreut, dass Patrik diesen Ausbildungsplatz erhält, da ich ihn für ideal halte. Und daher würde ich gerne schreiben, dass ich euphorisch bin, dass ich zuversichtlich bin. Aber die Wahrheit ist – das bin ich nicht. In mir tobt ein Gefühlstornado. In mir sind Trauer, Angst, Wut, Unsicherheit und Erschöpfung.

Trauer & Angst

Ich bin melancholisch und traurig, weil wir uns von Patriks Mentorin verabschieden mussten. Sie ist wirklich ein herausragender Mensch und war in den letzten drei Jahren stets eine wichtige Stütze für meinen PATMAN. Ich habe zuvor niemals eine Person kennengelernt, die derart geduldig, verständnisvoll, tolerant und warmherzig ist. Irgendwie hatte sie es geschafft aus Patrik stets das Beste rauszuholen. Eigentlich gebührt ihr das Bundesverdienstkreuz! Menschen, die einen derart fordernden Job mit so viel Herz ausüben, sollten jedenfalls deutlich mehr Anerkennung erhalten.

Bei Jugend am Werk fängt Patrik nun wieder von vorne an. Er muss sich erst an die neuen Ansprechpartner, die neuen Kolleg*innen und die neue Umgebung gewöhnen. Ich bin unsicher und nervös … wie das wohl wieder wird? Er hat ja bis dato bei jedem Wechsel immer länger gebraucht um anzukommen. Nun hat er aber nur einen Monat, um zu zeigen, dass er an der Ausbildung wirklich interessiert ist. Nach dem Probemonat wird entschieden, ob er weiterhin dort bleiben darf oder ob wir eine neue Stelle suchen müssen.

Da es so immens schwierig war, diese Stelle zu finden, habe ich Angst was passiert, wenn Patrik sich nicht schnell genug einlebt. Da die neuen Ansprechpartner Pattys ihn nicht gut kennen, werden sie sich schwer tun mit ihm umzugehen, wenn er nicht spricht. Sie werden verunsichert sein, wenn er nicht ißt. Und sollten sie Euphorie oder gar Dankbarkeit von Patrik erwarten für diesen Arbeitsplatz, so werden sie enttäuscht werden. Mein PATMAN hat bis dato nicht begriffen, wie kostbar diese Stelle und die Möglichkeiten, die sich ihm dadurch bieten, ist. Ich befürchte außerdem, dass mein Leben – so wie ich es kenne und schätze – vorbei sein wird, falls Patrik anstelle von Fortschritten weitere Rückschritte macht. Ich weiß, das klingt egoistisch. Selbstverständlich geht es mir in erster Linie um Pattys Zukunft. Aber auch meine Zukunft hängt von seiner ab.

Wut & Erschöpfung

Und ich bin unendlich wütend auf dieses Dreckscorona! Weil es uns die letzten 2 Jahre vermiest hat. Patrik hatte so einen tollen Start im BVL hingelegt. Er hat die drei Ausbildungsjahre so vielversprechend begonnen und dann hat aufgrund von Corona und den Regierungsmaßnahmen so vieles gar nicht oder ganz anders als geplant stattfinden müssen. Die Kids – egal ob mit special needs oder im Regellehrplan – mussten alle soviel zurückstecken und mit Einschränkungen leben, die für Kinder und Jugendliche  sehr einschneidend sind.

Die letzten beiden Jahre waren so unendlich anstrengend. Und ja – so wie ich es euch schon mehrfach berichtet habe: ich habe meine Tipps und Tricks. Ich schaffe es immer wieder mich zu motivieren und weiter zu machen, schaffe es immer für meinen PATMAN und mich einzustehen. Aber das ist unendlich anstrengend. Und wenn ich im Tatendrang darauf vergesse, meine Wohlfühlinseln und meine Auszeiten einzubauen, dann schwächt mich das. Und ja – das passiert, immer wieder. Ich bin ja auch nur ein Mensch 😉. Bei all der Ausbildung, bei all den Erfahrungen und bei all den good vibes, die ich dank meiner positiven Grundeinstellung zum Leben in mir trage, habe ich auch Tage wo ich durchhänge. Tage, an denen es mir echt schwer fällt, trotz all meiner Strategien am Ball zu bleiben.

Was wäre wenn?

Auch wenn ich weiß, dass es nichts bringt und unabänderlich ist, habe ich nach dem Zeugnistag dennoch zwangsläufig überlegt wie es meinem PATMAN wohl gehen würde, wenn Corona ihn nach seinem fulminanten Start im BVL nicht ausgebremst hätte, wenn ihn der Schock über das drohende abrupte Ende seiner Schulzeit nicht sprachlos gemacht hätte und er mit dem aufgenommenen Fahrtwind hätte weitersegeln können. Selbstverständlich sind diese Gedanken vergeudete Energie, denn es ist wie es ist. Dennoch sind all die beschriebenen Gefühle da.

Aber ich lasse mir das Leben nicht verdrießen, schon gar nicht von meinen eigenen Gedanken 😉. Und so habe ich mich dazu entschlossen, davon auszugehen, dass alles wohl aus gutem Grunde ganz genau so passieren musste, auch wenn ich den Grund dafür noch nicht kenne. Eines Tages macht das alles mit Sicherheit einen Sinn und bis dahin kämpfe ich unaufhörlich weiter für meinen PATMAN.