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petra koller stern 1
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Zwischen Mutterliebe und
Erziehungsburnout

Erinnerungen

Diese Woche hatte ich Urlaub und meinen kleinen Neffen zu Besuch. So ganz ohne Alltag war die Woche sehr ruhig und förmlich andächtig. Da ich nicht ständig damit beschäftigt war an Aufgaben und Timelines zu denken, hat mir die freie Zeit viele Erinnerungen an die vergangene Zeit mit meinen Kindern beschert. Erinnerungen an die Zeit, als meine Kinder so alt waren wie mein kleiner Neffe.

Die Zeit vergeht im Flug

Dabei wurde mir sehr schnell bewusst, wie schnell die Zeit vergeht. Gefühlt ist die Zeit noch nicht so weit weg, in der meine Kinder erst am Anfang ihrer Entwicklung standen. Sie lernten sprechen, zuhören, singen, gehen, laufen und springen – so wie mein Neffe jetzt. Wie schnell sie das alles lernten. Selbst mein geliebter PATMAN hat, auch wenn es manchmal den Anschein hatte, das alles ewig dauerte, schlussendlich eine Menge gelernt, in den letzten 18 Jahren. Unfassbar! 18 Jahre alt wird er schon, in genau einem Monat.

Auch unfassbar wie sich das Leben per se geändert hat. Mein Neffe ist fast 20 Jahre jünger als mein Philip. Zwei Dekaden Unterschied zwischen den Beiden und die Erziehung hat sich komplett verändert. Führende Elternratgeber empfehlen heutzutage ganz andere Sachen als zu der Zeit als meine Kinder so klein waren. Als mein Philip so ca. 1 Jahr alt war, war zum Beispiel das Buch „Jedes Kind kann schlafen lernen“ populär. Das hat übrigens den ersten Erziehungsstreit zwischen meinem Mann und mir ausgelöst. Er war fest entschlossen, das Gelesene an Philip zu praktizieren. Ich jedoch fand die Methode von Anfang an zweifelhaft. Eines Abends probierte er es aus. Das Szenario endete damit, das Philip hinter der Kinderzimmertür schluchzte und ich davor. Ich habe diesen Erziehungsversuch dann abgebrochen. Ich habe niemals etwas davon gehalten Kinder weinen oder schreien zu lassen, zumindest nicht ohne Begleitung.

Erziehung einst und jetzt

Kleiner PATMAN im Urlaub in den Bergen
Meine Jungs zusammen im Urlaub

Das Schlafen ist überhaupt ein ambivalentes Thema. Der Mensch ist ein Herdentier und lebte von jeher in Rudeln. In der Steinzeit oder in Stammesvölkern haben die Menschen sich vor einem Feuer, in einer Höhle oder einem Zelt zusammen gekuschelt, um sich gegenseitig zu wärmen. Und auch später als es bereits Betten gab, haben in Großfamilien meist alle Kinder in einem Bett geschlafen und die Eltern zusammen in einem Bett. Jahrhunderte lang hat also kaum jemand allein geschlafen. Warum also sollten das heutzutage so klitzekleine Menschen tun müssen? Ich verstehe das nicht. Sorry. Selbstverständlich darf jede*r hierzu seine eigene Meinung haben. Ich halte aber nichts davon. Der Mensch ist nicht fürs Alleinsein gemacht, erst recht nicht kleine Kinder. 

Aber auch in Sachen Medien hat sich in den letzten beiden Dekaden so einiges verändert. Habe ich bei meinen Kindern noch sehr lange überlegt, wie oft und wie lange sie fernsehen dürfen. Ab wann sie ein eigenes Handy haben dürfen oder wann wir uns ein Tablet zulegen, so ist es heute gang und gäbe, dass schon die kleinsten Kinder sich besser mit der Bedienung der elektronischen Geräte auskennen als manch ein Erwachsener. Vollkommen selbstverständlich rufen sie YouTube-Videos auf, egal ob am Tablet oder am Handy. Und ich denke, dass den Kindern dadurch unendliche Möglichkeiten der Wissensbeschaffung offenstehen. Ich finde es grandios! Aber es ist auch verständlich, dass viele Eltern unsicher sind, ob so viel Technik für die Kinder gut ist. Meiner Meinung nach ist es jedenfalls ein Vorteil, solange man den Konsum nicht überhandnehmen lässt. Wie bei allem liegt der goldene Weg in der Mitte. 

Erinnerungen

Doch zurück zu den Erinnerungen an meinen PATMAN. Das Schicksal hat es ihm nicht leicht gemacht. Schon nach der Geburt musste er, aufgrund der Frühgeburtlichkeit und seines geringen Geburtsgewichts von nur 926 g erstmal mühevoll atmen und saugen lernen. Als Patriks Bruder Philip vier Jahre zuvor zur Welt kam, schien es vollkommen selbstverständlich, dass er von Geburt an selbständig atmete und saugen konnte. Zugegeben hatte auch Philip kleine Probleme mit dem Saugen, aber Patrik konnte anatomisch gesehen nicht saugen, da die Muskulatur rund um den Mund viel zu schwach war. Daher hat er schon auf der Neonatologie seine erste Therapie bekommen – eine von vielen. Die logopädische Therapie half die Muskulatur zu stärken, sodass er schlussendlich selbständig saugen konnte.

PATMANs erster Urlaub in Bibione
PATMAN mit seinen Schienen

Als mein PATMAN begann das Gehen zu lernen wurde festgestellt, dass er einen sehr schwachen Muskeltonus hat. Vermutlich hatte er deshalb Schwierigkeiten dabei gehabt Sitzen und Krabbeln zu lernen. Nun erschwerte es ihm auch das Gehen lernen. Außerdem fiel auf, dass eine Sehne am Unterschenkel verkürzt war und er deshalb nicht richtig laufen lernen konnte. Er bekam Schienen angepasst. Diese sahen aus wie kleine Stiefelchen und er musste sie täglich den ganzen Tag tragen. 

Unzählige Therapien

Es folgten noch unzählige, unterschiedliche Therapien im Laufe seines Lebens: Motopädagogik, Ergotherapie, sensorische Integration, Logopädie, tiergestützte Therapie (mit Kleintieren), Hippotherapie und Psychotherapie. Im Schnitt hatte er eigentlich ab seinem 2. Lebensjahr 2x pro Woche eine Therapiestunde, lediglich die Art der Therapie wechselte. Aber die Anzahl der Therapiestunden pro Woche blieben jahrelang gleich. Es ist also unumstritten, dass wir auf die bestmögliche Art versucht haben ihn zu unterstützen. Aber heute – wenn ich meinen kleinen, pumperlgesunden Neffen beim Spielen betrachte, der gerade zweieinhalb Jahre alt ist – wird mir erst bewusst was das damals für meinen PATMAN bedeutet hat.

Nichts viel ihm jemals leicht. Alles was er jemals gelernt hat, war immer mit immenser Anstrengung verbunden und teilweise, wie z.B. das Gehen, nur mit Hilfsmitteln möglich. Dennoch war er so lange ein immens fröhliches Kind. Er hat so viel gelacht und war immer freundlich und aufgeweckt. Erst vor kurzem habe ich per Zufall seine Hortbetreuerin getroffen, die mir dies bestätigte. Sie erinnerte sich, dass er immer viel zu erzählen hatte und gerne mit anderen Kindern spielte. Als sie von seinem derzeitigen selektiven Mutismus hörte, konnte sie es gar nicht glauben.

Eine Menge Fortschritte

Ehrlich gesagt, kann ich oft selbst fast nicht glauben, wenn ich mich so zurückerinnere, WAS mein PATMAN alles erlebt hat und was er trotz dem ständigen „Gegenwind“ alles gelernt hat. So vieles hatten Therapeuten*innen oder Pädagogen*innen schon sehr früh für ihn ausgeschlossen, aber wir haben es gemeinsam dennoch geschafft. Nach dem ersten Jahr im Berufsvorbereitungslehrgang war Patrik auf einem so guten Weg. Er hatte sich so gut entwickelt, dass wir die Hoffnung hatten, dass er die Ausbildung einer Teilqualifikation abschließen könnte.

Leider haben die Corona-Jahre Patrik, wie bereits berichtet, wieder stark gehemmt und ihn entwicklungstechnisch zurückgeworfen. Da seine Angststörung wieder stärker denn je ans Tageslicht kam, waren viele Dinge plötzlich nicht mehr oder sehr schwer möglich, die im ersten BVL-Jahr schon gar kein Thema mehr waren. Aber es hilft ja nichts. Corona und die Einschränkungen im Alltag haben uns alle getroffen. Manche mehr, manche weniger. Meinen PATMAN halt leider mehr. 

Nichtsdestotrotz bin ich frohen Mutes, dass die Zeit bei Jugend am Werk ihm sehr gut tun wird und er wieder volle Fahrt aufnehmen wird. Schon am Montag ist es soweit. Er startet in der Einsteigergruppe bei Jugend am Werk ALPHA. Ich wünsche ihm von Herzen, dass er dort Freunde findet und ihm der Platz in der Gruppe wieder Stabilität und Sicherheit gibt. Denn das ist nötig, damit Entwicklung überhaupt stattfinden kann.