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petra koller stern 1
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Zwischen Mutterliebe und
Erziehungsburnout

Integration

Die Zeit vergeht wie im Flug. Ich kann mich noch so gut daran erinnern, wie es meinem PATMAN erging als er in den Kindergarten kam. Er war so offen und fröhlich und freute sich auf die anderen Kinder. Nach den ersten beiden Jahren im Pfarrkindergarten wechselte er in einen Kindergarten mit Integration. Dort ging es ihm fantastisch. Die Gruppe wurde von zwei Helferinnen und zwei Integrationspädagoginnen betreut. In der Familiengruppe verbrachten Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren den Tag gemeinsam. Sie waren oft im Garten und durften unterschiedliche Fahrzeuge benutzen.

Jeden Tag, wenn ich Patrik abholte, war er so gut aufgelegt und ausgelassen. Er ging so gerne in den Kindergarten und spielte den ganzen Tag. Im letzten Jahr übten die Pädagoginnen mit ihm für die bevorstehende Einschulung. Aufgrund der Einstufung in den Integrationsplan, machte Patrik keine Vorschulblätter im herkömmlichen Sinne. Aber es wurden dennoch Spielaufgaben zur Schulreifeentwicklung durchgeführt. Soweit ich weiß, waren das Schwungübungen, Rechenspiele und vieles mehr. Kompetenzen wie Erkennen, Vergleichen und Kombinieren sollten trainiert werden.

Einschulung

Er war nach der Zeit im Integrationskindergarten wirklich sehr gut auf die Schule vorbereitet und er freute sich so sehr darauf endlich wie sein Bruder in die Schule gehen zu dürfen. Ich hatte immer den Traum, dass er es irgendwann aus dem Integrationsplan in den Regelplan schaffen würde. Und heute bin ich überzeugter denn je, dass das möglich gewesen wäre. Doch das bestehende Schulsystem ist starr und nicht mehr zeitgemäß. Es ist selbst für Regelkinder eine große Herausforderung es unbeschadet zu überstehen. Erst recht ist es extrem challenging für Kinder, die nicht ins System passen oder sich einfach nicht ins Schema F pressen lassen wollen.

Leider war ich nach der Einschulung meines PATMANs beruflich sehr gefordert und die für mich damals neue Situation als alleinerziehende Mutter war zusätzlich belastend für mich. Daher war ich zu diesem Zeitpunkt nicht so aufmerksam, wie ich es hätte sein sollen. Ich merkte leider viel zu spät wie schlecht es Patrik in der Schule ging und womit er täglich zu kämpfen hatte. Er wurde immer ruhiger und war nach etwa einem Jahr Schulzeit stark verändert. Erst da bemerkte ich, dass etwas nicht stimmte. Mein vormals so fröhlicher, weltoffener und unbekümmerter Junge hatte sich in einen unsicheren, verhaltenen und eher passiven Menschen verwandelt. Allerdings vorerst nur in ungewohnter Umgebung. Zuhause oder mit Freunden war er der Alte geblieben.

Nicht zu ändern

Ich kann die Zeit leider nicht zurückdrehen, und es ist daher sinnlos darüber zu philosophieren oder mit dem Erlebten zu hadern, aber ich bin sicher, dass diese ersten beiden katastrophalen Schuljahre die Weiche für die Zukunft meines PATMANs gestellt haben. Hätte er alle vier Volksschuljahre in der Montessori Klasse verbringen können, in der er nach dem Schulwechsel zumindest die dritte und vierte Klasse der Volkschule verbrachte, hätte er es meiner Einschätzung nach noch in den Regelplan schaffen können. Dann hätte er auch nicht in die Integrationsmittelschule gehen müssen, die ihm dann leider emotional gesehen den Rest gegeben hat.

Nach der Volkschulzeit musste Patrik aufgrund des starren Systems in die Mittelschule wechseln, obwohl feststand, dass er dafür nicht bereit war. Ich hatte mehrfach versucht eine andere Lösung zu finden. Es hätte in der Montessori-Volksschule eine Mehrstufenklasse gegeben, in die er meiner Meinung nach gut gepasst hätte. Auch erneut einen gesamten vierjährigen Zyklus in dieser Schule hätte ich mir für ihn vorstellen können. Aber das ist in unserem System unmöglich. Kinder müssen gemäß ihrem Alter eingestuft werden. Ich halte das für vollkommen absurd. Viel wichtiger wäre es, sie gemäß ihren Fähigkeiten einzustufen, nicht nach dem biologischen Alter.

schädliches Schulsystem

Mittlerweile ist hinlänglich bekannt, dass einer der größten Fehler ist, Kinder zu vergleichen. Jedes Kind entwickelt sich individuell, hat die unterschiedlichsten Interessen und Leidenschaften. Unser Schulsystem unterstützt das in keinster Weise. Im Gegenteil es wird immer noch mit Nachdruck versucht allen Kindern im selben Alter die gleichen Kenntnisse und Kompetenzen anzutrainieren. Meist wird dabei versucht ihnen jegliche Individualität auszutreiben. So gehen einen Menge Potenziale verloren und so manches Kind ist relativ schnell gefrustet.

Auch der Selbstwert der Kinder und die angeborene Neugier und Kreativität nimmt langfristig Schaden. Und obwohl seit Jahren von Fachexperten, Psychologen und Pädagogen auf diesen Missstand hingewiesen wird, ändert sich rein gar nichts. Wie gesagt schadet das allen Schulkindern, aber für Integrationskinder oder chronisch kranke Kinder bedeutet das oftmals den Weg raus aus dem System an den Rand der Gesellschaft. So sehr Integration und Inklusion im Schulsystem beworben und gepriesen wird, leider sieht die Realität ganz anders aus. Meist krankt es an der Umsetzung aufgrund von Ressourcen.

Probleme bei der Integration

PATMAN am 1. Tag in der MS

Als mein PATMAN also wie gesagt in die integrative Mittelschule wechseln musste, war er wohl ein bisschen aufgeregt, weil so viel Neues auf ihn zu kam, aber er war nach den letzten beiden erfolgreichen Schuljahren eher positiv aufgeregt und unvoreingenommen. Doch die nächsten vier Jahre sollten alles ändern. Hatte er die ersten beiden miserablen Schuljahre seines Lebens durch die beiden fantastischen Jahre in der integrativen Montessori Klasse vergessen können, so sollte dies leider nicht erneut gelingen. Es kamen neue Herausforderungen und extreme Erlebnisse auf ihn zu, die er leider nicht mehr leicht wegstecken konnte. Trotz jahrelanger Therapie.

Die Regelkinder waren wohl eifersüchtig auf die Integrationskinder, da diese am Nachmittag keine Schulstunden hatten, sondern im sogenannten Atelier spielen durften. Selbstverständlich handelte es sich um Lern- und Therapiespiele, aber die Regelkinder sahen dies nicht so und die beginnende Pubertät tat ihres zu der Situation. Die Integrationskinder wurden von den Mitschülern aufgezogen und schikaniert. So erzählte mir Patrik eines Tages: “Die anderen sagen ich bin behindert. Stimmt das?” Mir brach beinah das Herz, als ich das hören musste. Ich erwiderte: “Du kannst zum Beispiel nicht so gut rechnen wie andere Kinder, das behindert dich dann dabei Rechenaufgaben zu lösen. So ist das gemeint. Aber jeder ist eben anders und kann etwas anderes gut.”

grausame Erlebnisse

Es folgten einige Vorfälle, auf die ich nicht detailliert eingehen möchte. Einige Puzzlesteine konnte ich erst nach langer Zeit zu einem sinnvollen Bild zusammenfügen, aber Patrik wurde längere Zeit von den Regelkindern gemobbt und verprügelt. Am Schikurs hatte ein Mitschüler, der mit ihm im Zimmer war, ihn mit dem heißen Fön verbrannt und als es Zeit war den Gips, den er nach dem Schienbeinkopfbruch bekommen hatte, zu entfernen, wollte er diesen behalten. Er eskalierte im Krankenhaus mit den Worten: „Ich brauche den Gips, sonst sind die wieder gemein zu mir!“

In den folgenden Jahren sollte er immer introvertierter werden und phasenweise gänzlich zu sprechen aufhören. Es gab glücklicherweise immer wieder Fortschritte und seit etwa einem halben Jahr geht es gesamt bergauf, aber das Geschehene hat ihn nun mal geprägt und seinen Weg zu einem großen Teil bestimmt. Auch die jahrelange Psychotherapie konnte sein gebrochenes Vertrauen in Menschen nicht wieder herstellen. Jahrelang hat er, wenn dann nur versucht mit Mädchen in Kontakt zu kommen und hat gleichaltrige Jungs gemieden. Er hatte regelrecht Angst vor ihnen.

Auch wenn mir vollkommen bewusst ist, dass es auch viel schlimmer hätte kommen können, hadere ich zugegeben immer wieder mal mit der Vergangenheit. Ich wünschte ich hätte meinem Sohn die negativen Erlebnisse in der Mittelschulzeit ersparen können. Ich wünschte, er hätte es in den Regelplan geschafft und hätte jetzt mehr Chancen. Ich hatte so sehr gehofft, dass er zumindest einen Teillehrabschluss machen kann. Aber wenn ich ihn mir dann so ansehe, wie er lächelt, wenn er zu youtube-Videos tanzt oder über die dort gesehenen Witze lacht, dann habe ich den Eindruck das er glücklich ist. Auch wenn vieles von dem, was ich mir für ihn gewünscht hatte, nicht in Erfüllung ging. Und darum geht es doch, oder? Unsere Kinder sollen glücklich sein 😊