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petra koller stern 1
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Zwischen Mutterliebe und
Erziehungsburnout

Abschlussgespräch der Probezeit

Als ich am Freitag nach dem Abschlussgespräch der Probezeit nachhause fuhr, konnte ich nicht mal in Worte fassen, wie ich mich fühlte. Das Gespräch lief vollkommen anders als erwartet. In mir duellierten sich Gefühle wie Wut, Enttäuschung und Traurigkeit. Ich musste mich erst sammeln und versuchen herauszufinden, was ich wirklich von alldem halten würde, was ich hören musste.

Urteil der Einstiegsbegleiterin

Das Gespräch begann damit, dass ein Betreuer mehrmals nervös den Raum verließ, um Dinge zu holen. Während alle anderen Teilnehmer bereits Platz genommen hatten, holte er z.B. Wasser, obwohl genug Wasser am Tisch stand. Dann verschwand er erneut, vermutlich zur Toilette. Jedenfalls wollten die anderen Anwesenden ohne ihn nicht beginnen und so saßen wir peinlich schweigend rund um den Tisch. Und dann übergab der endlich sitzende Betreuer das Wort an die Einstiegsbegleiterin.

Leider hat sie sich nicht vorgestellt, weswegen ich weder ihren vollständigen Namen kenne noch ihren Beruf. Sie hat wohl aufgrund ihrer Ausbildung Erfahrung mit Kindern und Jugendlichen, die an ausgeprägtem Mutismus oder Autismus leiden. Im Zuge des Gesprächs teilte sie uns aber mit, dass sie keine Erfahrung mit Jugendlichen wie Patrik hätte. Sie erzählte, dass sie aufgrund von Krankheit nur eineinhalb Wochen mit Patty verbracht hatte und schilderte von einzelnen Situationen im Alltag mit ihm.

Sehnsucht nach Freundschaft

PATMAN bei Kegeln

Sie hatte nach dieser kurzen Zeit den Eindruck gewonnen, dass die Einsteigergruppe nicht das Richtige für Patrik wäre. Sie stützte ihre Annahme größtenteils auf seine Sehnsucht nach Freundschaften und Verbindung zu anderen Jugendlichen. Dies würde ihn so sehr beschäftigen, dass er kaum mitarbeiten würde und keinerlei Interesse an den Aufträgen innerhalb der Gruppe zeigen würde. Er wäre immer zur Stelle mit Ideen für Freizeitgestaltung oder der Planung von Ausflügen. Einen Fortschritt in seiner Entwicklung oder eine Steigerung seiner Fertigkeiten konnte sie allerdings nicht erkennen.

Er würde immer wieder versuchen Kontakte zu knüpfen und wäre enttäuscht, wenn er auf Ablehnung stoße. Arbeitsaufträge würde er nur mit anderen Jugendlichen erledigen, um Zeit mit ihnen verbringen zu können. Sie meinte außerdem, dass er ihrer Meinung nach größtenteils in eine Fantasiewelt abtauchen würde und sie nicht sicher wäre, ob er noch unterscheiden könne, was Realität wäre und was Fantasie. 

Besucht er denn Therapien?

Sie fragte, ob wir schon überlegt hätten Therapien auszuprobieren. Da musste ich mich sehr beherrschen, um ruhig zu bleiben. Ich atmete tief durch und erzählte ihr dann, dass wir in den letzten 15 Jahren wohl jede mögliche und sinnvoll erscheinende Therapie ausprobiert hatten, außer Delphinschwimmen! Hätte sie sich die Mühe gemacht, in Patriks Unterlagen zu sehen, hätte sie das jedenfalls gewusst. However. Ich erzählte, dass er beim VKKJ vorgemerkt war und schon bald der Termin zur Vereinbarung der Einheiten für Musik- oder Tiertherapie anstehe.

VKKJ
www.vkkj.at

Ihrer Meinung nach, betonte sie erneut, läge Patriks Focus grundsätzlich auf dem Aufbau von zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Einsteigergruppe bereite die Jugendlichen auf den nächsten Schritt vor. Sie sollten von dort, nach Verbesserung ihrer Fähigkeiten, in eine fixe Anstellung wechseln, und blieben daher oft nur sehr kurz. Im Grunde wäre es beinah ein Kommen und Gehen, da diese Gruppe nur eine Zwischenstation darstelle. So hatte man uns das zu Beginn nicht erklärt. Aber auch aufgrund der bevorstehenden Übersiedlung des Standorts würden sich wohl einige Anforderungen ändern. Jedenfalls solle er zu seinem eigenen Wohle wechseln, um sich den ständigen Abschied von Kolleg*innen zu ersparen. Aber bis er was gefunden hätte, dürfe er jedenfalls noch bleiben. Na vielen Dank auch!

PATMAN beim Abschlussgespräch der Probezeit

Mein PATMAN saß die ganze Zeit über stocksteif beim Tisch und lauschte was über ihn berichtet wurde. Ich konnte seine Anspannung fühlen und wie er zwischendurch versuchte alles richtig zu machen und auch Interesse zu zeigen. Als die Betreuer ihn fragten, was er von alledem halten würde und ob es ihm gefiel und er bleiben wolle, sagte er sofort entschieden: „Ja. Ich will bleiben.“ Dazu wurde gleich entgegnet, dass es ihm doch beim Eröffnungsfest des Standorts Seebogen auch sehr gut gefallen hätte. Lächerlich! Das war ein Fest! Da hat er getanzt. Er hat es genossen, weil es ein Ausflug war und keine Aufträge zu erledigen waren. Hier wurde nichts von ihm verlangt!

Leider hatte ich wie so oft den Eindruck, dass man versuchte mir schonend beizubringen, dass mein Kind nicht erwünscht ist. Zu oft habe ich bereits gehört was mein PATMAN nicht alles bräuchte und verdienen würde. Dennoch könnte man es ihm DORT leider nicht bieten. Alle wollen immer nur das Beste für ihn, es aber selbst nicht geben. Manchmal frage ich mich, ob das jemals aufhört. Ich verliere schön langsam den Glauben daran, dass er einmal längere Zeit in einer stabilen, warmherzigen Umgebung bleiben kann. Und manchmal verliere ich tatsächlich den Glauben an die Menschheit.

where is the love?

Advent
Advent

Es ist Advent! Wo ist die Liebe? Wo die Menschlichkeit? Das Mitgefühl? Mit großen Worten wird oft versucht Liebe, Menschlichkeit und Mitgefühl vorzuspielen. Wenn es dann zu Taten kommen sollte, ist plötzlich niemand da. Niemand zuständig. Keiner hat Ressourcen oder ein Budget. Unser Staat ist schon lange kein Sozialstaat mehr. Es wird von Jahr zu Jahr schlimmer. Und das Schlimmste ist diese Ohnmacht. Es ist ein Kampf gegen Windmühlen. Zu oft hat man trotz des eigenen, maximalen Einsatzes keine Chance.

Da es also ohnehin keinen Sinn gemacht hätte, darauf zu insistieren, dass er dort bleiben kann bis es Fortschritte gibt, haben wir zugestimmt uns andere Standorte anzusehen. Wenn Jugend am Werk ALPHA im Jänner Standort wechselt, hätten sie aufgrund des Umzugs leider ohnehin Schwierigkeiten mit der Betreuung der Jugendlichen. So wird Patrik im Jänner am Standort Seebogen schnuppern. Die dortige Leiterin wurde bereits vor dem Gespräch mit uns darüber informiert, dass wir uns bezüglich einer Schnupperzeit für Patrik bei ihr melden würden. Es gäbe noch zwei andere Standorte, die informiert wurden und die wir uns ansehen können. Aber die Seestadt wäre, rein örtlich gesehen, die beste Wahl. Also wird PATMAN wieder einmal schnuppern. Erst danach können wir entscheiden, wie es weiter geht.

1:1 Betreuung wieder weg

Da uns die Betreuer vor zwei Wochen gesagt hatten, dass die Einstiegsbegleitung bis Weihnachten laufen würde, fiel ich fast vom Stuhl als sich die Dame von Patrik verabschiedete. Sie wäre von ihrer Chefin abberufen worden, da es einen dringenderen Fall als Patty gäbe. Für Patrik gab es ja nun ohnehin einen Plan und somit nichts mehr zu tun für sie. Und dann begannen die Betreuer gemeinsam über fehlenden Ressourcen und Krankenstände zu klagen. Ich dachte ich kotz im Strahl! Echt ich kann es nicht mehr hören! Und erst recht bekomme ich Aggressionen, wenn Menschen versuchen mir zu erklären, dass diese Branche leider ein Stiefkind wäre.

Sorry Leute, aber diese ewige Raunzerei geht mir schwer auf die Ketten! Momentan ist es in keiner Branche besser! Es fehlt überall an Ressourcen, es gibt zu wenig Budget und gefühlt alle Menschen klagen über Überforderung und steigende Anforderungen. Das hat doch nichts mit dem Sozialbereich zu tun! Auch meine Mitarbeiter und ich selbst arbeiten am Limit. Das liegt an der Zeit, nicht an der Branche oder dem gewählten Beruf. Und ehrlich gesagt, ist mir das auch scheißegal, wenn es um mein Kind geht! Ich kann in der Situation wirklich kein Verständnis für gesunde Erwachsene aufbringen, die ihren Job selbst gewählt haben. Hierfür habe ICH keine Ressourcen!

Atmen – loslassen – weiter machen

Petra Koller-om
atmen – loslassen – weiter machen

Mittlerweile habe ich meine Enttäuschung und meine Wut wieder losgelassen. Es gibt eben leider Dinge, die nicht zu ändern sind. Ändern kann ich nur wie ich damit umgehe. Ich werde mir also den Standort Seebogen ansehen. Er ist ganz neu. Mit November 2021 ist die Werkstätte von der Colerusgasse dorthin übersiedelt. Angeblich hat sich mit dem Standortwechsel einiges verbessert. Na, ich bin gespannt! Jedenfalls bekommt der Seebogen selbstverständlich eine Chance von mir und wer weiß … vielleicht ist das ja nun endlich das Richtige für meinen PATMAN.