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petra koller stern 1
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Zwischen Mutterliebe und
Erziehungsburnout

Es geht bergauf

Nach meinem Gespräch mit Patriks Betreuer der Einsteigergruppe war ich guter Dinge, dass es nun bergauf gehen würde. Umso erstaunter war ich, als ich bereits am Dienstag danach einen Anruf von ihm erhielt. Patty hätte sich wieder auffällig verhalten. Er ist erneut ausgerastet, hat geschrieen und die anderen Teilnehmer*innen mit Drohgebärden eingeschüchtert. Ich war außer mir.

Ein erneuter Vorfall

Der Anruf erreichte mich dienstags mitten in einem Meeting. Am liebsten hätte ich gar nicht abgehoben, aber zum Zeitpunkt des Anrufs wusste ich ja nicht was passiert war und wollte daher nicht riskieren erst später zurückzurufen. So entschuldigte ich mich bei meinen Kolleg*innen und nahm das Telefon ab. Als ich erfuhr was passiert war, war ich im ersten Moment stinksauer auf Patty. Wie oft mussten wir das noch besprechen? Wie oft müsste ich mich für ihn entschuldigen und versuchen sein Verhalten zu erklären? Ich hatte es tatsächlich so was von satt.

Garderobe JAW
JAW Einsteigergruppe

Ich erfuhr, dass er sich diese Woche bereits mehrfach unerlaubt von der Gruppe entfernt hatte. Er setzte sich mehrmals in die finstere Garderobe und zog sich die Kapuze seines Hoodys tief ins Gesicht. Dabei wirkte er sehr traurig. Nachdem er sich über andere Teilnehmer geärgert hatte, hatte er wieder laut geschrieen, Sachen geworfen und mit Drohgebärden die anderen irritiert. So deutete er z.B. wieder an, dass er jemanden erdrosseln wollte und machte Gesten, als würde er jemandem den Tod wünschen. Er ahmte die Bewegung nach, die man machen würde, wenn man jemandem mit einem Messer die Kehle aufschlitzt.

Dennoch war der Betreuer sehr ruhig als er mir all das erzählte und bat mich um ein Gespräch mit Patrik gemeinsam. So vereinbarten wir, dass ich Patrik am nächsten Tag früher abholen würde, so dass wir gemeinsam ein Gespräch führen konnten. Mein PATMAN, seine Betreuer und ich würden zu viert über die Vorfälle sprechen und wie es weiter gehen konnte.

Valentinstag

Es war Valentinstag und tatsächlich hatte ich das erste Mal seit dreizehn Jahren wieder mal ein Valentinstags-Date. So sehr ich mich darauf gefreut hatte, so schwer lag der Vorfall bei Jugend am Werk auf meinem Herzen. Ich dachte darüber nach, ob ich das Date absagen sollte, um mit Patrik über sein Verhalten sprechen zu können. Doch ich wollte nicht. Diesmal nicht. So sehr hatte ich mich darauf gefreut endlich wieder mal einen Abend ohne Patrik und dafür mit Romantik genießen zu können. Nach all den Jahren wollte ich diesmal zu meinen Gunsten entscheiden.

Valentinstag
Valentinstag

Patriks großer Bruder Philip hatte mir versprochen seinen Bruder von Jugend am Werk abzuholen und nachhause zu bringen. Wir änderten den Plan spontan und die Brüder fuhren zu ihrem Vater. Das erforderliche Gespräch mit Patrik über sein Verhalten übernahm somit sein Vater. Es verlief sehr gut und ich war froh, dass ich meine Pläne nicht gleich wieder voreilig über den Haufen geworfen hatte. Es war tatsächlich beides möglich: das erforderliche, ernste Gespräch mit meinem PATMAN und mein romantischer Abend, nach dem ich mich so sehr gesehnt hatte.

Betreuergespräch

Am nächsten Tag dann fand das Acht-Augen-Gespräch zwischen Patrik, seinen beiden Betreuern und mir statt. Es verlief überraschend gut und sehr ruhig. Die Betreuer erklärten Patty, dass sie sicher waren, dass er viel mehr konnte als er zeigte. Sie ermutigten ihn mehr mit ihnen zu sprechen, sodass Probleme sofort und unkompliziert gelöst werden konnten. Wir besprachen erneut die Streitregeln und Verhaltensweisen die inakzeptabel waren. Die Betreuer und ich waren uns dabei vollkommen einig.

Was mir an dem Gespräch gefiel, war die Art wie die Betreuer mit Patrik sprachen. Sie waren sehr respektvoll und einfühlsam. Es war spürbar, dass sie nicht gegen meinen PATMAN arbeiten wollten, sondern mit ihm. Sie waren sehr bemüht ihm verständlich zu machen, dass sie ihm helfen wollten zu zeigen was er alles konnte und ihn dabei unterstützen wollten zusätzlich weiter zu lernen.

Verhaltensweisen

Es ging dabei nicht nur um das Verhalten mit anderen Gruppenteilnehmern und fehlende Kommunikation, sondern auch um Patriks Verhalten ohne Interaktion mit Anderen. Des Weiteren sprachen wir über mögliche Arbeitsaufträge und Fertigkeiten, die er erlernen konnte. Die Betreuer zeigten meinem PATMAN auf, wie er sich mehr in die Gruppe einbringen konnte und was er an Arbeiten übernehmen konnte. Scheinbar hatte er dies bis dato nicht so richtig verstanden.

Ein weiterer Punkt war das Essen in bzw. mit der Gruppe. Wir ermutigten ihn zukünftig gemeinsam mit den anderen zu essen und erklärten ihm auch erneut, dass sowohl das Kochen mit der Gruppe als auch das gemeinsame Essen wichtig war. Vor allem aber war es wichtig, dass er regelmäßig aß, um überhaupt Kraft zum Mitmachen zu haben. Patrik erfuhr, dass er Vorschläge für die gemeinsam gekochten Gerichte bereits am Montag einbringen musste, damit es genug Vorlaufzeit gab die erforderlichen Zutaten zu besorgen.

Vorschläge

Er hatte sofort einige Ideen was die Gruppe gemeinsam kochen konnte und auch für eventuelle Ausflüge, die die Gruppe gemeinsam machen könnte, hatte er Vorschläge bereit. Je länger das Gespräch dauerte, desto mehr sprach er und kam aus sich heraus. Ich war positiv überrascht und wie gesagt sehr froh, dass das Gespräch so gut verlief.

Schlussendlich vereinbarten wir uns jedenfalls in sehr kurzen Abständen immer wieder abzustimmen. Mein PATMAN versprach sich all das Besprochene zu Herzen zu nehmen und sich zukünftig zu bemühen sich in der Gruppe positiv einzubringen. Nachdem die Betreuer auch erklärt hatten, dass einige der anderen Teilnehmer ebenfalls kleine Probleme beim Miteinander in der Gruppe hatten, verstand Patrik denke ich besser, wie wichtig es war bestimmte Verhaltensweisen einzustellen.

Erkenntnis

Rückenstärkung
Erkenntnis

Jedenfalls habe ich diese Woche gelernt, dass ich nicht immer alles allein lösen muss und dass auch ich ab und an loslassen sollte – wie z.B. am Valentinstag. Patriks Vater war hier eine große Hilfe, konnte aber nur helfen, weil ich es zugelassen habe. Und ich selbst war nach dem romantischen Abend so gelöst und zufrieden, dass ich die restliche Woche viel gelassener mit allem umgehen konnte, was mich forderte.

So viele Jahre hatte ich das Gefühl, dass nur ich meinen PATMAN verstehen würde und dass es meine Pflicht war für ihn da zu sein, ihn zu unterstützen und für ihn zu sprechen. Dabei habe ich viel zu selten zugelassen, dass mein Außen mich unterstützt. Und da ich der Meinung bin, dass es Kindern nur gut gehen kann, wenn es auch den Eltern gut geht, habe ich mir vorgenommen zukünftig deutlich öfter loszulassen.