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petra koller stern 1
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Zwischen Mutterliebe und
Erziehungsburnout

Geburt

Mein PATMAN wird 19 Jahre alt. Unfassbar, dass es bereits so lange her ist, dass er so spektakulär auf die Welt kam. Jedes Jahr aufs Neue bringt mich Patriks Geburtstag zum Nachdenken. Erinnerungen werden wach und die unterschiedlichsten Gedanken beschäftigen mich.

Je älter er wird, desto mehr verändert sich meine Sicht auf Patriks Leben und auch auf die Schwangerschaft mit ihm. Vermutlich, weil ich mich in all den Jahren auch verändert habe. Das wundert nicht, bei all dem, was mein PATMAN und ich gemeinsam erlebt haben. Wir haben uns beide weiterentwickelt und sind an dem Erlebten gewachsen. Patrik ist nun erwachsen. In vielerlei Hinsicht hat er seinen eigenen Kopf und eigene Vorstellungen. Und das ist gut so.

Rückblick

Streng genommen begann Patriks Weg bereits mit der Totgeburt seines Bruders Christoph. Und auch für mich begann mit diesem einschneidenden Erlebnis ein neuer Weg. Nichts sollte danach wie früher sein, auch wenn ich es mir eingeredet hatte. Der Mensch ist bemerkenswert gut darin sich selbst zu schützen und sich aus dieser Motivation heraus selbst zu belügen. Das Bewusstsein spielt uns nur zu oft einen Streich, indem es vortäuscht die Zügel in der Hand zu haben. Tatsächlich ist aber jegliche Annahme, dass Kontrolle existiert, nur Illusion. Was bleibt ist der gute Vorsatz alles richtig zu machen.

Doch gerade meine Erfahrungen durch und mit meinem PATMAN haben mir immer wieder gezeigt, dass es kein richtig und falsch gibt. Was für ein Kind richtig scheint, kann für das nächste gänzlich falsch sein. Als mein Philip klein war, habe ich mich bei meinen Entscheidungen und Erziehungsfragen auf meine Intuition verlassen. Das gelang mir damals sehr gut. Und auch wenn ich in Philips Kindheit immer wieder mal darüber nachdachte, ob ich eine gute Mutter sei, so bin ich jetzt, wo er erwachsen ist, sehr zufrieden. Ich könnte nicht stolzer auf ihn sein. Er ist ein grandioser, wundervoller Mann geworden und scheint mir sehr glücklich zu sein.

PATMAN

Patman im Inkubator

Doch bei meinem PATMAN war es mir fast unmöglich auf meine Intuition zu vertrauen. Wenn ein Kind so klitzeklein und spektakulär zur Welt kommt, wenn es so zart und zerbrechlich ist, ist es schwierig gelassen zu bleiben. Erst recht, wenn zuvor ein Kind in dir gestorben ist. Manches verstehe ich ehrlich gesagt erst heute. Zu sehr war ich lange Zeit damit beschäftigt mich um mein Frühchen zu kümmern. Zu lange wollte ich alles richtig machen, ihn bestmöglich unterstützen und immer für ihn da sein. Während ich in meinem Hamsterrad lief, verließ ich mich auf das Fachwissen und die Empfehlungen der Ärzte, Therapeuten und Psychologen. Weil ich ihnen beinah blind vertraute, habe ich irgendwann meine Intuition verloren und aufgehört auf meinen Bauch zu hören.

Außerdem war ich immer sicher, dass ich für meinen PATMAN stark sein müsse, und das war ich. Ich habe versucht alles im Griff zu haben und war sicher, dass keinerlei Angst in mir sei. Ich war überzeugt davon, dass ich mein Kind beschützen könnte. Nur ich. Ich war fast besessen davon ihn zu beschützen und für ihn zu kämpfen – egal worum es ging. Ich verteidigte ihn bei Lehrern, erklärte sein Verhalten im Familien- und Freundeskreis. Bei Ämtern und Behörden kämpfte ich um seine Rechte und wollte keinerlei Benachteiligung akzeptieren, koste es was es wolle. Wie gesagt, hatte ich dabei das Gefühl ich sei vollkommen furchtlos.

Christophs Geburt

Erst vor kurzem habe ich herausgefunden, dass das Gegenteil der Fall war. Völlig unbewusst war der eigentliche Antrieb für meine Stärke und meinen Kampfgeist die pure Angst. Die krankhafte Angst, ich könnte noch ein Kind verlieren, hat mich unbewusst angetrieben. Die Totgeburt meines Sohnes Christoph hatte mich geprägt und verändert.

Wurde ich nach Patriks Entlassung aus der Neonatologie gefragt, wie es mir geht, sagte ich immer voller Überzeugung, dass ich der glücklichste Mensch der Welt bin, hatte ich doch endlich meine geliebten Kinder bei mir. Aus meinem Unbewussten heraus lenkten und beeinflussten mich allerdings meine verdrängte Trauer und meine unbändige Angst. Ich war nicht mehr die unbefangene, gelassene Mutter, die ich vor der traumatischen Geburt Christophs war.

Christoph *08.02.2003

Christoph war in meinem Bauch verhungert. Er war wohl schon viel zu lange sehr schlecht versorgt, da meine Plazenta aufgrund einer Plazentainsuffizienz schlecht arbeitete. Leider ist das bei keiner Vorsorgeuntersuchung aufgefallen. Schon von dem Zeitpunkt an, in dem ich ihn in mir spüren konnte, hat er sich weniger bewegt als Philip zuvor. Ich habe mir aber nichts dabei gedacht, vermutete dass er einfach ein ruhigeres Kind ist. Erst als ich in der 26. Schwangerschaftswoche plötzlich fürchterliche Schmerzen bekam und alles Fruchtwasser verloren hatte, war klar, dass etwas nicht stimmte. Ich brachte meinen toten Sohn dann sehr schmerzhaft zur Welt.

PATMANs Geburt

Patriks Schwangerschaft verlief anfangs sehr gut. Ich freute mich so sehr, dass ich endlich wieder schwanger war und Philip nun doch den ersehnten Bruder bekommen würde. Doch exakt in der 26. Schwangerschaftswoche hatte ich wieder einen Blasensprung und musste ins Krankenhaus. Die Plazenta war schlecht durchblutet und es bestand erneut die Gefahr, dass mein Kind nicht gut versorgt war. Dasselbe Szenario, in derselben Schwangerschaftswoche. Die Ärzte versuchten meine Wehen zu hemmen, um so die Geburt hinauszuzögern. Jeder Tag, den Patrik länger in meinem Bauch bleiben könnte, wäre ein gewonnener.

Doch in mir war diese Unruhe. Ich war zerrissen. Mein dreijähriger Philip war zuhause – ohne seine Mutter. Es war fast unerträglich so lange von ihm getrennt zu sein und ihn immer nur ein paar Stunden in der Besuchszeit zu sehen. Es brach mir fast das Herz, ihn jeden Tag nach der Besuchszeit zu verabschieden, waren wir zuvor doch unzertrennlich.

Dazu die Angst, dass Patrik wieder in mir sterben könnte. Schon einmal war ein Kind in mir unbemerkt gestorben. Schon einmal konnten mir die Ärzte nicht helfen. Schon einmal konnte niemand mein Kind retten, nicht mal ich selbst. Damit mein Patrik die besten Überlebenschancen gehabt hätte, hätte er im Idealfall bis zum errechneten Geburtstermin in meinem Bauch bleiben sollen. Das hätte aber bedeutet, dass ich drei Monate im Krankenhaus hätte bleiben müssen.

Zerrissen

Mein Philip hätte seine Mutter wegen seinem ungeborenen Bruder drei Monate lang nur stundenweise gesehen, und das auch noch im Krankenhaus. Die Vorstellung war zu grausam für mich. Sich zwischen dem Wohl der beiden Brüder zu entscheiden, war mir unmöglich. Die Entscheidung wurde mir allerdings ohnehin abgenommen. Mein Körper strotzte allen medizinischen Mitteln, die daransetzten die drohende Geburt von Patrik hinauszuzögern. Nach nur zwei Wochen Krankenhausaufenthalt kam Patrik daher zur Welt und musste bis zum errechneten Geburtstermin auf der Neonatologie bleiben.

PATMAN & Philip

Ich pendelte zwischen meinen Söhnen. Mein Tagesablauf war gut strukturiert und ich versuchte penibel genau beiden dieselbe Aufmerksamkeit zu schenken. Morgens brachte ich Philip in den Kindergarten und fuhr dann zu Patrik ins Krankenhaus. Nachmittags holte ich Philip ab und fuhr dann erneut ins Krankenhaus, diesmal mit Philip. Wir verbrachten dort gemeinsam die Zeit mit Patrik. Mein damaliger Mann kam nach der Arbeit auch zu uns. Diese Stunden gemeinsam mit unseren Kindern verbringen zu können war mein größtes Glück.

Ich versuchte weiterhin beiden Kindern so gut es ging zu geben, was sie jeweils brauchten, auch wenn ich ehrlich gesagt immer das Gefühl hatte, es wäre zu wenig. War ich mit Philip allein, hatte ich das Gefühl bei Patrik sein zu müssen. Ich fand die Vorstellung, dass er allein mit seinem Gewicht von 926 Gramm in seinem Inkubator lag, fürchterlich. Dennoch fühlte ich mich auch nicht gut, wenn ich bei Patrik war und Philip war nicht bei uns.

Frühgeburt & Schattenkind

Nach Patriks Entlassung setzte sich dieses Gefühl in mir fort. Mein PATMAN war schon etwa zwanzig Tage, nachdem er die Neonatologie verlassen durfte, dass erste Mal wieder stationär im Krankenhaus, Diagnose: Lungenentzündung. Ab diesem Zeitpunkt sollte er für mehr als drei Jahre beinah ständig krank sein. Philip musste immer wieder Rücksicht nehmen und unser aller Leben war stark von Patriks Krankheiten geprägt. Oft haderte ich mit mir und gab mir die Schuld für unsere Situation, weil ich das Gefühl hatte, dass meine Unruhe damals die Geburt ausgelöst hatte. Doch in Wahrheit hätte auch alles viel schlimmer kommen können. Es ist wie es ist.

Und so wurden beide meiner Söhne Kämpfer. Jeder auf seine Weise. Philip wurde als sogenanntes Schattenkind sehr früh sehr selbständig. Mein PATMAN hatte schon in meinem Bauch bei schlechter Versorgung einen enormen Lebenswillen und strotzte allen Widrigkeiten vor, während und nach seiner Geburt. Vieles wovon uns gesagt wurde, es sei unmöglich, hat er dennoch gemeistert. Ich bin unendlich stolz darauf, wie meine Söhne trotz der Totgeburt ihres Bruders Christoph und den Herausforderungen durch die Frühgeburt meines PATMANs ihren Weg gegangen sind. Sie sind nun beide bereits erwachsen und ich werde weiterhin mein Bestes geben, um für sie da zu sein.