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petra koller stern 1
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Zwischen Mutterliebe und
Erziehungsburnout

Ungewisse Zukunft

Diese Woche wurde ich gefragt wie es mir geht. Trotz der ungewissen Zukunft habe ich im Affekt voller Überzeugung geantwortet: GUT! Mir geht’s immer gut. Zumindest ist es das, was ich immer antworte. Aber als ich darüber nachgedacht habe, ist mir klar geworden, dass ich gar nicht weiß wie es mir geht.

Ich sage immer, dass es mir gut geht. Das ist aber mehr ein Reflex, nicht die korrekte Antwort, meist ist es nicht mal die Wahrheit. Diesmal habe ich festgestellt, als ich länger darüber nachgedacht habe, dass ich in letzter Zeit wieder nur funktioniert habe. Ich habe meine Aufgaben erledigt und meine todo-Listen abgearbeitet. Ich habe funktioniert für meinen PATMAN und in meinem Job. Ehrlicherweise kann ich gar nicht genau sagen wie es mir tatsächlich geht. Ich kann nicht in Worte fassen was ich für Gefühle habe zu all dem was rund um mich gerade passiert.

Ungewisse Zukunft

Ich habe letzte Woche bei Jugend am Werk SEEBOGEN angerufen und einen Termin für ein Vorstellungsgespräch vereinbart. Das ist üblich. Auch für Tagesstrukturen und Werkstätten müssen Interessenten ein Vorstellungsgespräch absolvieren. Dies ist auch für die Schnupperzeit erforderlich. Ich habe also mit der Leiterin der Werkstätte den Termin vereinbart. Dabei hat sie mir erzählt, dass es derzeit nur eine freie Stelle in ihrem Haus gibt und hierfür bereits ein anderer Jugendlicher schnuppert. Aber alles Weitere würden wir ohnehin in dem Gespräch besprechen. Nach dem Telefonat war ich wieder enttäuscht.

Ich kann zwar noch gar nicht sagen, ob es Patty dort gefallen würde. Und auch nicht wie sein Vater oder ich das Umfeld und die gebotenen Möglichkeiten dort beurteilen werden. Somit wissen wir nicht, ob die Stelle das Richtige für Patrik wäre. Aber ich habe seit dem Telefonat die latente Angst, dass es ihm gefällt und auch wir es begrüßen würden, dass er dorthin wechselt, und dann keine Stelle frei ist. Schon wieder zu viel Ungewissheit.

Es könnte wieder der Fall sein, dass Patrik sich unnötig mit etwas Neuem befasst und sich für etwas Neues öffnet, ohne eine Chance auf Erfolg. Wozu soll er sich dem erneut aussetzen, wenn er die Stelle dann ohnehin nicht haben kann? So etwas tut ihm nicht gut. Daher versuche ich ihn vor derartigen Situationen zu bewahren. Das ist aber unmöglich, wenn mir die Außenwelt hier keine Wahl lässt. Es birgt das Risiko, dass es ihm gefällt und er fortan dort arbeiten möchte, es aber dann nicht möglich ist. Umgekehrt besteht natürlich auch die Möglichkeit, dass es ihm nicht gefällt und er in der Einsteigergruppe von Jugend am Werk ALPHA bleiben möchte. Dann muss er sich aber ordentlich ins Zeug legen und beweisen, dass er etwas lernen möchte, damit ihm die Stelle zusteht.

mangelnde Optionen

Jetzt kann man an der Stelle natürlich einwerfen, dass jeder Jugendliche in seinem Leben solche Momente erlebt. Aber mein PATMAN in seiner speziellen Situation und Menschen, die ein ähnliches Schicksal haben, haben schon von Grund auf viel weniger Optionen in diesem System, viel weniger Möglichkeiten sich frei zu entscheiden. Gerade bei Patrik war es in der Vergangenheit leider oftmals so, dass das was er gebraucht hätte, was ihm gut getan hätte, nicht zur Verfügung stand. Somit konnten wir dann nur aus den spärlich gesäten Optionen nach dem Motto „Pest oder Aussatz“ wählen. Im Grunde wussten wir meist schon vorher, dass alle vorhanden Möglichkeiten nicht passend sind für ihn und konnten dann nur das kleineste Übel wählen. Sowas wünscht sich keine Mutter/kein Vater für sein Kind.

Eigentlich wäre die korrekte Herangehensweise erstmal herauszufinden was das Richtige für ein Kind ist. Wo ist Entfaltung und Entwicklung in einem stabilen, wohlwollenden und fördernden Umfeld möglich. Wenn hierüber Klarheit besteht, würde im Normalfall die Suche nach einer derartigen Stelle starten. Gesunde Jugendliche nehmen für solche Stellen teilweise einen großen Weg auf sich oder aber wechseln sogar in ein Internat. Aber all das ist für Jugendliche mit speziellen Bedürfnissen kaum möglich. Immer wieder hört man von fehlenden Ressourcen und sollte für die semioptimalen Lösungsvorschläge auch noch dankbar sein. Gerecht ist das nicht.

Machbarkeitsanalyse

Patriks Bruder Philip hatte in seinem Leben sehr viele tolle Chancen. Und er hat sie auch immer genutzt. Die spärlichen Chancen, die Patty geboten wurden, hat er leider auch nicht immer optimal genutzt. Wie z.B. die Möglichkeit in der Einsteigergruppe von Jugend am Werk ALPHA weitere Fertigkeiten zu erlernen. Was ich aber leider nicht mit Sicherheit sagen kann ist, ob er es besser machen hätte können. Ich bin nach all den Jahren leider immer noch oft unsicher, ob er etwas nicht kann oder nicht möchte. Hätte er es besser machen können? Hat er das Potential? Hätte er zeigen können, dass er das wirklich will und kann? Oder war es ihm tatsächlich nicht möglich?

Mit ihm kann ich darüber nicht sprechen, weil er ja nicht besonders viel spricht und schon gar nicht über unbequemes. Daher kann ich nur mutmaßen. Ich denke, wenn er topfit wäre, bräuchten wir derartige Stellen nicht. Aber er ist eben nicht topfit! Nicht mal semi-fit – die letzte Befundung des Amtsarztes liest sich wie ein Alptraum für mich. Und das resultiert aus den Erfahrungen der letzten beiden Jahre.

Nachwehen der Pandemie

BVL
bei der Arbeit im BVL

Vor der Pandemie war er auf so einem guten Weg, förmlich am aufsteigenden Ast. Er war offen und motiviert und hat Leistung gebracht. Es fühlt sich für mich an, als hätte Corona ihm den Stecker gezogen. Er ist seither unmotiviert, unwillig und wieder total introvertiert. Der Mutismus kam auch erst mit der Pandemie. Aber ich finde derzeit keine Weg, ihn wieder auf den guten Weg zu bringen.

Und nach all dem was ich jetzt geschildert habe, kann ich gar nicht sagen, wie es MIR geht. An manchen Tagen habe ich das Gefühl mir entgleitet mein gesamtes Leben. Natürlich weiß ich, dass dieses Gefühl stark übertrieben ist. Mein Kopf weiß, dass es immer Lösungen gibt und dass es immer weiter geht. Man muss nur durchhalten und dran bleiben und dann wird sich etwas ergeben, und es wird sich alles fügen. Aber die Gefühle der Ohnmacht, Überforderung und Verzweiflung kommen dennoch immer wieder in periodischen Abständen. Es ist einfach immens anstrengend und kostet mich so viel Kraft mich ständig selbst wieder aufzurichten. Weil das eben niemand sonst macht.

fehlende Unterstützung

Leider habe ich sehr wenig Unterstützung und eigentlich hätte ich schon – abgesehen von meinem PATMAN – noch ein ganz normales Leben auch. Meine Freunde stützen mich sehr stark. Aus den Verbindungen mit ihnen ziehe ich sehr viel Kraft und dafür bin ich sehr dankbar. Aber in meiner Familie gibt es leider auch sehr viele Baustellen. Oftmals habe ich das Gefühl ich müsste noch mehr unterstützen. Was ich aber leider nicht kann, wenn ich selbst am Boden liege und selbst Unterstützung brauchen würde. Aus meiner Ursprungsfamilie hat aber selten jemand die Kraft, mich in irgendeiner Art und Weise zu unterstützen.

Ich bin immer noch alleinerziehend und auch wenn mein Ex-Mann versucht mich in seinem Rahmen zu unterstützen, am Ende des Tages bin ich alleine. Alles was meinen PATMAN betrifft, sein weiteres Leben, sein Schicksal und seinen Werdegang betrifft nach ihm selbst natürlich am Meisten mich. Alle anderen fahren nachhause gehen wieder in ihr Leben, meistern ihren Alltag und auch mein Ex-Mann fährt nach jedem dieser unangenehmen Termine in sein Zuhause. Ich fahre dann immer mit PATMAN in unser Zuhause und kann dem Ganzen nicht entrinnen. Es ist sehr ambivalent. Ich liebe meinen Patrik und will für ihn nur das Allerbeste. Aber am Ende des Tages möchte ich schon auch ein bisschen an mein Leben denken. So gesehen haben wir beide eine ungewisse Zukunft.

Auszeit

Gerade hatte ich einen Kurzurlaub und war fast fünf Tage ohne meinen PATMAN. Er war in dieser Zeit bei seinem Vater. Ich hatte also eine kleine Auszeit und habe versucht nicht darüber nachzudenken wie das alles weitergeht. Das Tückische an derartigen Auszeiten ist aber, dass es mir meistens nicht gelingt abzuschalten, und nach der meist kurzen Auszeit beginnt alles wieder von vorne. All die Themen rund um Patrik und der Alltag holen mich dann schnell wieder ein.

Ich bin ein grundpositiver Mensch und sehe für gewöhnlich überall Lösungen, aber ich bin eben auch nur ein Mensch. Und auch ich habe schlechte Tage und schlechte Stunden und dann kommt es nun mal auch zu Hirnentgleisungen. Da kann es schon mal passieren, dass ich mich in einem Gedankenkarussell verstricke und das Positive nicht mehr auf Anhieb oder so deutlich wie sonst erkenne. Aber das Geheimnis liegt in dem Psychologentrick mit Schlagwort „Babysteps“. Mache einfach immer einen kleinen Schritt nach dem Anderen. Unser nächster Schritt ist jetzt mal das Vorstellungsgespräch und erst danach kann man den nächsten Babystep machen.