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petra koller stern 1
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Zwischen Mutterliebe und
Erziehungsburnout

Zwischenfall

Im letzten Beitrag habe ich euch vom Schnuppern bei Jugend am Werk SEEBOGEN berichtet und dass mein PATMAN so lange dort bleiben kann, wie es ihm Spaß macht. Ich hatte gehofft, dass er dort nun immer mehr Fuß fasst und weiterhin Fortschritte macht. Tatsächlich kam es – wie so oft in unserem Leben – dann ganz anders als erwartet. Es gab einen Zwischenfall.

Zwischenfall

Schon am zweiten Tag nachdem ich den letzten Beitrag veröffentlicht hatte, wurde ich von der Gruppenleitung der Kreativgruppe der Werkstätte SEEBOGEN angerufen. Patrik hatte sich so sehr über einen Teilnehmer aufgeregt, dass er begann auszuflippen. Er konnte beruhigt werden und es ist weiter nichts geschehen, aber ich sollte ihn früher abholen, um an einem Gespräch zu dem unerwarteten Zwischenfall teilzunehmen.

Das Gespräch verlief sehr gut. Die Gruppenleiterin erzählte was geschehen war und dass Patrik gesagt hätte, dass er hier nicht bleiben mag. Auslöser waren wieder der Teilnehmer, der immer wieder laut schrie, und die Teilnehmerin, die rülpste und furzte. Die anderen Teilnehmer hatten sich wohl bereits an diese Situation gewöhnt, aber Patrik verstand nicht, warum die beiden nicht davon abzubringen waren. Dass die Situation immer wieder entstand und er nichts dagegen tun konnte, frustrierte ihn sehr und führte zu dem Zwischenfall. 

Schock für die anderen Teilnehmer

Das Ungünstige an diesem Tag war, dass er gerade eine Schere in der Hand hatte, als es ihm zu viel wurde und er aufsprang und ebenfalls schrie. Dabei hat er die Schere in der Luft gehalten und die anderen Teilnehmer bekamen Angst. Auch die Gruppenleiterin hatte verständlicherweise großen Respekt und war froh, als der unerwartete Zwischenfall wieder deeskaliert war.

In dem Gespräch einigten wir uns darauf, dass ich mich bei Jugend am Werk ALPHA erkundigen würde, ob er wieder in die Einsteigergruppe wechseln konnte. Um nicht unnötig Fehltage zu produzieren, bat ich darum, dass Patrik allerdings noch bis zum Ende der Woche zumindest Halbtags in die Kreativgruppe kommen könnte. Wir vereinbarten unter welchen Bedingungen das möglich war und Patty versprach sich daran zu halten.

Erziehung & klärendes Gespräch

Am Nachmittag sprach ich noch mit meinem PATMAN darüber was vorgefallen war und das ich wohl verstehen konnte, dass er genervt war, aber er sich dennoch an die Gruppenregeln halten musste. Er verstand zwar weiterhin nicht, warum der andere Kerl nicht aufhören konnte zu schreien, aber er sah ein, dass es auch nicht ok war, den anderen Teilnehmern Angst zu machen. Auch wenn es nicht mit Absicht war, so musste er sein Verhalten ändern, denn niemand hat gerne Angst. Und ich versuchte mit ihm Strategien zu entwickeln, was er machen konnte, wenn ihm die anderen Teilnehmer zu viel wurden.

Streitregeln
Streitregeln

Ich kramte ein Buch aus seiner Kindheit heraus: Die kleinen Streithammel. In dem Buch geht es ums Streiten, Quengeln und sich wieder vertragen. Wir hatten lange Zeit die „Streitregeln“ aus dem Buch in unserem Wohnzimmer hängen und so druckte ich sie wieder aus und klebte sie gut sichtbar auf unseren Familienkalender. Ich wollte Patrik eine zweite Kopie mit geben, ich dachte vielleicht hätte es geholfen sie in der Gruppe aufzuhängen, aber das wollte er nicht.

Nächster Zwischenfall

Umso überraschter war ich, als ich am nächsten Tag wieder angerufen wurde. Patrik hätte sich plötzlich angezogen und wäre Richtung U-Bahn verschwunden. Er hätte verkündet, dass er nachhause müsste. Eine Betreuerin lief ihm sofort hinterher und konnte ihn einfangen. Dennoch war wieder ein Gespräch erforderlich und ich sollte ihn diesmal sofort abholen. Da ich noch Meetings hatte, konnte ich aber nicht sofort weg. Ich habe mit Patrik per Telefon gesprochen und ihm klar gemacht, dass er sich noch ein wenig gedulden muss und der Betreuerin versprochen, Patrik in meiner Mittagspause abzuholen, was ich auch tat.

Es stellte sich heraus, dass Patty nachhause fahren wollte, um den Ausdruck der Streitregeln zu holen. Eigentlich eine clevere Idee, aber da er den Weg noch nicht kannte, hätte er nicht nachhause gefunden. Außerdem konnte er selbstverständlich nicht einfach Mitten im Arbeitstag die Einrichtung verlassen. Zusätzlich hatte er in seiner Wut über das ständige Geschrei des Teilnehmers drohende Gesten gemacht, was die anderen Teilnehmer verstörte.

Diesmal war ich nicht so ruhig und besonnen wie am Vortag. Ich war richtig richtig wütend. Auch wenn ich im Nachhinein seine Wut und Ohnmacht verstehen konnte, war seine Reaktion leider indiskutabel. Ich erklärte ihm daher mit Nachdruck das es mir reichte und es so nicht weiter gehen konnte. Das Telefonat mit ALPHA lief zwar super, er konnte wieder in die Einsteigergruppe kommen. Aber auch wenn er dort noch eine Chance bekam, war ich unsicher, ob er es dort ohne weitere Zwischenfälle schaffen würde.

Stimmlos

Vor lauter Ärger und Ohnmacht meinerseits, verlor ich meine Stimme und wurde krank. Konnte ich mich anfangs mit Medikamenten noch über einen weiteren Arbeitstag retten, so wurde es immer schlimmer und Freitagmittag musste ich zugeben, dass ich richtig krank geworden war. Diese Woche war es einfach zu viel für mich gewesen. Zusätzlich zu meinem Brotjob, der derzeit leider auch recht intensiv ist, gab es gleich an zwei Tagen nacheinander überraschende Zwischenfälle, das war selbst für mich zu viel. Ich bin wie gesagt eine gewisse Intensität in meinem Leben gewohnt, nachdem ich mittlerweile 13 Jahre lang alleinerziehende, berufstätige Mutter bin, aber auch bei mir gibt es Grenzen des Erträglichen.

Auch wenn Patrik nun die Chance bei Jugend am Werk ALPHA bekommt, heißt das noch lange nichts. Er muss jetzt jedenfalls beweisen, dass er dortbleiben möchte und etwas lernen möchte. Es muss nun endlich Fortschritte geben! Denn sonst kann er nicht dortbleiben. Zuviel Jugendliche würden den Platz in der Einsteigergruppe ebenfalls benötigen. Und so hoffe ich inniglich, dass mein PATMAN verstanden hat, was nun auf dem Spiel steht! Das ist die aller letzte Chance bei ALPHA und wenn das wieder nicht funktioniert, dann habe ich keine Ahnung, wo wir ihn dann unterbringen können. Leider gibt es nicht viele Optionen und das Ganze muss ja auch machbar sein. Ein Platz am anderen Ende der Stadt ist leider logistisch unmöglich.

Zwischenfall & die Konsequenzen

Petra Koller Petra Koller nachdenklich
Wie wird es wohl weitergehen?

Da Patrik nun nicht mehr zur Kreativgruppe im SEEBOGEN kann, bleibt er nächste Woche noch drei Tage zuhause, bis der Standort ALPHA wieder zur Verfügung steht. ALPHA ist derzeit mitten im Umzug und der neue Standort kann erst ab 02.02. besucht werden. Durch die Eskalation beim SEEBOGEN hat Patrik schon letzte Woche zwei Tage zuhause verbracht und somit wieder gesamt fünf Fehltage angesammelt. Die werden ihm vom Urlaub abgezogen. Das ist sehr ärgerlich aber eben auch nicht änderbar. Es geht hier immer um Ressourcen und da, wie gesagt, sehr viele Menschen auf Plätze bei Jugend am Werk warten, ist auch irgendwie verständlich, dass ein Platz nicht für einen Teilnehmer “freigehalten werden kann”, wenn er nur selten erscheint.

Selbst in der Sozialbranche dreht sich alles immer um Ressourcen, Ressorts und Budgets. Aber es hilft ja nichts. Wir sind nun mal davon abhängig. Und ich bin es auch leid darüber zu klagen, dass Menschen mit speziellen Bedürfnissen immer vernachlässigt werden und keine Lobby oder genügend Aufmerksamkeit haben. Es ist wie es ist. Wir müssen unser Auslangen mit den gebotenen Möglichkeiten finden. Und als unbelehrbarer Optimist glaub ich immer noch daran, dass alles irgendwann gut wird. Auch für meinen PATMAN.